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STIFTUNG FÜR KONKRETE KUNST ROLAND PHLEPS
FREIBURG-ZÄHRINGEN, POCHGASSE 73
 
 

 

Aus: Badische Zeitung vom 04.10.2008

Von Hans-Dieter Fronz

 

Die Form des Schreis

Erwin-Josef Speckmann in der Stiftung für Konkrete Kunst

"Schmerz" hat Erwin-Josef Speckmann eine Skulptur aus rostendem Baustahl betitelt. Ein hochkant aufgerichteter, schmaler Quader, seitlich ausgespart ein Dreieck: Wie ein Keil dringt die trianguläre Leerform in den Stahlkörper ein und öffnet ihm gleichsam den Mund zum Ausdruck namenloser Pein. Ist es physischer Schmerz? Seelischer? Eine Mischung aus beidem? Mit einfachsten formalen Mitteln führt die Skulptur den Betrachter in eine existenzielle Grenzsituation.

Der spitze Winkel der ausgesparten Form, der einen zum Schrei geöffneten Mund evoziert, ist bei diesem Künstler, der sonst beinahe ausschließlich rektangulär arbeitet, fast eine Sensation. Und auch die angedeutete Figürlichkeit ist bei Speckmann eine rare Ausnahme, sofern die Auswahl von Skulpturen, Bildern und Zeichnungen, die zurzeit in der Skulpturenhalle der Stiftung für Konkrete Kunst in Freiburg zu sehen ist, einen einigermaßen charakteristischen Querschnitt seines Œuvres gibt. Lediglich eine weitere Arbeit - eine Skulptur mit drei schlanken, annähernd mannshohen Quadern - lässt sich gegenständlich interpretieren: als Figurengruppe in äußerster formaler Reduktion. Gleichwohl hat man beinahe durchgängig das Gefühl, dass konkrete Kunst bei Speckmann über das unverbindliche Glasperlenspiel von Farben und Formen hinaus, als das sich die Kunstrichtung so häufig darstellt, auf lebensweltliche Gehalte zielt.

Speckmann ist emeritierter Ordinarius für Neurophysiologie mit dem Schwerpunkt Epilepsieforschung an der Universität in Münster und seit seiner Jugend auch künstlerisch tätig. Physiologisch gesehen ist Kunst für ihn eine spezielle Hirnfunktion - in lebensweltlicher Perspektive jedoch so etwas wie ein notwendiges Komplement zur diskursiven Wissenschaft. "Ich fange immer dann zu malen an, wenn mir die Worte fehlen", sagt er, der im Atelier vorzugsweise minimal music von John Cage hört.

 

 
Erwin-Josef Speckmann: Stahlskulptur "Schmerz"

Stahlskulptur "Schmerz"
Erwin-Josef Speckmann
 

Seine künstlerischen Arbeiten versteht er als "Quintessenzen aus den Sinneseindrücken des Lebens". Kunst soll für ihn nichts abbildend darstellen, sondern das, was dargestellt wird, vergegenwärtigend sein.

Künstlerisch überzeugend ist dieses reflektierte Konzept in der Ausstellung eingelöst. Gedankliches Kalkül und feines Formgefühl, Nüchternheit der Gestaltung und Ausdrucksverlangen gehen in Speckmanns Kunst eine innige Verbindung ein. Bei alledem ist Geometrie für ihn nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel der Darstellung, das es erlaubt, menschliche Gehalte in ausdrucksstarken Chiffren zu vergegenwärtigen.

- Stiftung für Konkrete Kunst, Pochgasse 73, Freiburg.
Bis 26. Oktober 2008, jeden Sonntag von 11.30 bis 13.30 Uhr.