"Schmerz" hat Erwin-Josef Speckmann eine Skulptur
aus rostendem Baustahl betitelt. Ein hochkant aufgerichteter,
schmaler Quader, seitlich ausgespart ein Dreieck: Wie ein Keil
dringt die trianguläre Leerform in den Stahlkörper ein und
öffnet ihm gleichsam den Mund zum Ausdruck namenloser Pein. Ist
es physischer Schmerz? Seelischer? Eine Mischung aus beidem?
Mit einfachsten formalen Mitteln führt die Skulptur den
Betrachter in eine existenzielle Grenzsituation.
Der spitze Winkel der ausgesparten Form, der einen zum Schrei
geöffneten Mund evoziert, ist bei diesem Künstler, der sonst
beinahe ausschließlich rektangulär arbeitet, fast eine
Sensation. Und auch die angedeutete Figürlichkeit ist bei
Speckmann eine rare Ausnahme, sofern die Auswahl von
Skulpturen, Bildern und Zeichnungen, die zurzeit in der
Skulpturenhalle der Stiftung für Konkrete Kunst in Freiburg zu
sehen ist, einen einigermaßen charakteristischen Querschnitt
seines Œuvres gibt. Lediglich eine weitere Arbeit -
eine Skulptur mit drei schlanken, annähernd mannshohen
Quadern - lässt sich gegenständlich interpretieren: als
Figurengruppe in äußerster formaler Reduktion. Gleichwohl hat
man beinahe durchgängig das Gefühl, dass konkrete Kunst bei
Speckmann über das unverbindliche Glasperlenspiel von Farben
und Formen hinaus, als das sich die Kunstrichtung so häufig
darstellt, auf lebensweltliche Gehalte zielt.
Speckmann ist emeritierter Ordinarius für Neurophysiologie
mit dem Schwerpunkt Epilepsieforschung an der Universität in
Münster und seit seiner Jugend auch künstlerisch
tätig. Physiologisch gesehen ist Kunst für ihn eine spezielle
Hirnfunktion - in lebensweltlicher Perspektive jedoch so
etwas wie ein notwendiges Komplement zur diskursiven
Wissenschaft. "Ich fange immer dann zu malen an, wenn mir
die Worte fehlen", sagt er, der im Atelier vorzugsweise
minimal music von John Cage hört.
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Stahlskulptur "Schmerz"
Erwin-Josef Speckmann
Seine
künstlerischen Arbeiten versteht er als "Quintessenzen aus
den Sinneseindrücken des Lebens". Kunst soll für ihn
nichts abbildend darstellen, sondern das, was dargestellt wird,
vergegenwärtigend sein.
Künstlerisch überzeugend ist dieses reflektierte Konzept in
der Ausstellung eingelöst. Gedankliches Kalkül und feines
Formgefühl, Nüchternheit der Gestaltung und Ausdrucksverlangen
gehen in Speckmanns Kunst eine innige Verbindung ein. Bei
alledem ist Geometrie für ihn nicht Selbstzweck, sondern ein
Mittel der Darstellung, das es erlaubt, menschliche Gehalte in
ausdrucksstarken Chiffren zu vergegenwärtigen.
- Stiftung für Konkrete Kunst,
Pochgasse 73, Freiburg.
Bis 26. Oktober 2008, jeden Sonntag
von 11.30 bis 13.30 Uhr.
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