Ansprache von Claudia Rönn-Kollmann
am 14. September 2008
zur Vernissage der Ausstellung
"Tiefe Fläche"
von Erwin-Josef Speckmann
in der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Lieber Erwin-Josef Speckmann, liebe Hildegard,
liebe Freunde, meine Damen und Herren,
es ist eine Herausforderung und Ehre zugleich, Ihnen den Künstler
Erwin-Josef Speckmann und sein Werk vorzustellen. Vier Seiten
mit seiner
Vita finden Sie im Internet, und die
Liste der Einzelausstellungen
seiner Bilder und Skulpturen, die er seit
2004 darbietet, ist auch schon stattlich.
Er ist Professor für Neurophysiologie mit dem Schwerpunkt
Epilepsieforschung. Seit 2005 emeritiert, setzt er bis heute seine
experimentellen wissenschaftlichen Arbeiten im Institut für
Physiologie I in Münster fort. Er gehört zu den weltweit
führenden Hirnforschern und ist mit zahlreichen nationalen und
internationalen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet.
Prof. Dr. Erwin-Josef Speckmann wurde 1939 in Münster
geboren.
1959-1965 Studium der Medizin an der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster und in Wien.
Seit 1978 bis zur Emeritierung Leitung der Abteilung für
experimentelle Epilepsieforschung am Physiologischen Institut der
Universität Münster.
1986 Übernahme des Lehrstuhls für Neurophysiologie am Institut für
Physiologie der Universität Münster.
Erwin-Josef Speckmann ist nicht nur renommierter
Hirnphysiologe - seine Expertentätigkeit u.a. in der
Ethikkommission des Deutschen Bundestags zum
Transplantations-Gesetz, weist auch nach der Emeritierung seine
Kapazität aus - sondern gleichermaßen Künstler.
Erwin-Josef Speckmann ist seit frühester Jugend als Künstler
tätig, absolvierte eine Lehre bei Franz Homoet, Maler und ehemals
Lehrer am Gymnasium Paulinum. "Homoets Atelier durfte ich zu
jeder Tageszeit nutzen", schwärmt Speckmann. Seit 2003 hat er
einen Lehrauftrag an der Kunstakademie Münster.
Erwin-Josef Speckmann ist seit 1967 mit der Ärztin Hildegard
Speckmann verheiratet.
In seinem neuesten, noch druckfrischen Buch
Das Gehirn meiner Kunst charakterisiert er in
seiner Widmung diese Verbindung wie folgt:
"für Hildegard
Sie teilt meine beiden Leben mit mir"
Danke, liebe Hildegard, für Deine große Unterstützung bei der
Vorbereitung dieser Ausstellung. Du hast mir jederzeit mit Rat und
Tat als Co-Kuratorin zur Seite gestanden.
Nähern wir uns nun, meine Damen und Herren, weiter dem Künstler
Erwin-Josef Speckmann, der sagt:
"Ich fange immer dann an zu malen, wenn mir die
Worte fehlen."
Da habe ich ganz schön gestaunt, als ich diesen Satz zum ersten
Mal hörte. Ein Wissenschaftler, dem die Worte fehlen? Ich konnte
mir das nicht wirklich vorstellen. Immerhin. Er machte
neugierig.
Wie es sich für einen Wissenschaftler gehört, hat
Erwin-Josef Speckmann definiert und leitet uns so zu seinem
Kunstverständnis (ich zitiere aus:
Das Gehirn meiner Kunst, in dem er mit neuem,
ungewöhnlichem Blick den künstlerischen Gestaltungsprozess
reflektiert: Was passiert im selbstbewussten Gehirn bei einem
kreativen Prozess?):
Bei Kunst handelt es sich um
typische und spezifische Hirnfunktionen, die
- zu einer Aussage (einem Objekt) jenseits der verbalen
Begrifflichkeit führen und
- Kunstempfindungen im selbstbewussten Gehirn hervorrufen
Kunst ist also nicht die Eigenschaft eines Objektes.
"Die Hirnfunktion Kunst setzt assoziative Speicher voraus, die
mit nicht-erworbenen, z.B. durch Bildung im weitesten Sinne,
Inhalten gefüllt sind."
Wir verfügen - so Speckmann - über einen genetisch
hinterlegten "Kunstspeicher".
Diese Speicher sind für die Kunstwahrnehmung und Kunstproduktion
wichtig.
Die Existenz eines nicht-verbalen Vorrats an Zeichen und
Bedeutungen erlaubt es unserem Gehirn, hinter die Grenzen zu
schauen, die unsere sensorischen Systeme aufbauen, und -
zumindest zu einem bescheidenen Teil - Platons Schatten aus
dem Höhlengleichnis zu "decodieren"
(Zitat Ende).
Es lohnt sich sehr, auch die "Mit-Erfahrungen"
im neuesten Erwin-Josef Speckmann-Buch zu lesen. Sie
verdeutlichen in feiner Weise die Speckmann'schen Thesen. So
schrieb Matisse in seinen "Notizen eines Malers"
unter Verweis auf Cézanne: Wenn im Bild lauter Ordnung, lauter
Klarheit herrscht, so rührt das daher, dass diese Klarheit von
Anfang an im Geiste des Malers vorhanden war oder dass dem Maler
ihre Notwendigkeit bewusst war (Zitat, S. 14)
Erwin-Josef Speckmann nennt seine Werke "extrakte
Kunst", die den "Ursprung des Ganzen"
zeigen soll.
Er malt "Extrakte" aus multimodalem Empfinden,
"Quintessenzen aus den Sinneseindrücken des Lebens".
Der Künstler sucht in seinen
- Extrakten die Einheit,
- im Ausschnitt das Ganze,
- in der Essenz das Übergeordnete.
So zeichnet er erst einmal unendlich viele kleine Skizzen in
seine Tagebücher. Dann überträgt er die Extrakte mit Öl, auch
Gouache, auf Karton und Leinwand, malt - inspiriert durch
Japan - Kunstwerke mit Tusche und Feder und fertigt -
bevorzugt aus rostendem Stahl - Skulpturen.
Warum rostender Stahl?
Rost ist ein vielseitiges und komplexes Phänomen. Obgleich durch
seine bräunliche Farbe und Oberflächenbeschaffenheit optisch
unverkennbar, physikalisch und chemisch definierbar und in seinen
Auswirkungen auf Eisenwerkstoffe jedermann bekannt, bleibt dieser
Werkstoff schwer zu fassen. Trotz seiner materialen Qualitäten
fällt er nicht unter die Kategorie Material, ebensowenig ist Rost
immateriell. Hingegen stellt er einen ephemeren (vergänglichen)
Daseinszustand dar.
Das kommt Erwin-Josef Speckmann entgegen und er nutzt die
Möglichkeiten dieses Werkstoffs.
"Ich brauche Haut. Es gibt keine bessere Haut als
Rost."
"Haut ist ausdrücklich haptisch und sinnlich. Das Unmittelbare
kommt deutlich zum Ausdruck."
Konzentriert und fasziniert, erklärt er mir die Vorzüge von
Baustahl: Der rostet 2 bis 3 mm (im Gegensatz zu
CorTen-Stahl - nur 1 mm). Da sind tiefere, größere, mehr
Einlagerungen möglich. Baustahlrost
Während unseres Gesprächs kristallisierte sich dann immer mehr
der Titel unsere Ausstellung heraus. Erwin-Josef Speckmann
fertigt und malt Flächen - in jeder Hinsicht
tiefe Flächen. Bei Speckmann ist keine Fläche
vordergründig.
Auch bei den Bildern sehen
Sie - meine Damen und Herren - die charakteristischen
Merkmale der Speckmann'schen Kunst:
- strenger puristischer Stil,
- bei dem Schwarz, Weiß und Rot dominieren.
- Dazu kommen ausgesucht wenige Materialien (wie Ölfarben,
Gouache, Tuschen),
- verarbeitet in geraden Formen, Linien, Kreuzen
alles nach dem Grundsatz:
"Es soll nicht darstellen. Es soll es selber
sein."
So stellt beispielsweise die Serie Japan keine Meditation dar,
sondern ist Meditation.
Die Titel seiner Bilder laden zum
Denken ein:
- Japan (Erwin-Josef Speckmann liebt es, ein Mal im Jahr in
ein japanisches Zen-Kloster abzutauchen - kann auch
Südfrankreich und katholisch sein -, um sein Gehirn
"leerlaufen zu lassen"),
- Liganden (chemische Verbindungen, die den Rezeptor sichtbar
machen),
- Romanik (die Form zieht ihn an),
- Schatten,
- Hilla (ist seine Ehefrau)
- Fraternitas Dei (Brüderlichkeit Gottes).
Und Fraternitas Dei: "Der Weg der
Auseinandersetzung mit der fraternitas dei muss also von einer Art
und Richtung sein, dass das, wovon die Frage handelt, uns selbst
angeht, uns berührt und zwar in unserer Existenz."
(Jürgen Manemann in den einleitenden Überlegungen seines Buchs
"Über Freunde und Feinde". Brüderlichkeit Gottes).
Auch hier gilt - wie beim Rosten: Es geht immer langsamer
und langsamer weiter - aber er geht weiter!
Und auch mit Erwin-Josef Speckmann geht es weiter. Schon
denkt er darüber nach, wie er die Musik noch in seine Kunst
einbeziehen kann. Während des Malens hört er bevorzugt die Werke
von John Cage, dessen mehr als 250 Kompositionen als Schlüsselwerke
der Neuen Musik angesehen werden und der sich neben seinem
kompositorischen Schaffen auch als Maler betätigte.
So möchte ich Sie, meine Damen und Herren, nun einladen, sich mit
dem herausfordernden Werk Speckmanns auseinanderzusetzen -
gemäß einer wunderbaren "Anleitung" von John Cage:
"Wenn etwas nach zwei Minuten langweilig ist,
versuche es vier Minuten lang. Wenn es dann immer noch langweilig
ist, 8. Dann 16. Dann 32. Schließlich entdeckt man,
dass es überhaupt nicht langweilig ist."
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