Logik und Poesie in der Konkreten Kunst
SYNCHRON - PARALLEL 3
("Brandung")
V2A H = 15 cm
Roland Phleps
Im Sommer 2001 veranstaltete das "Forum Konkrete Kunst" in
Erfurt ein Symposium mit dem in der Überschrift genannten Thema. In
meinem Beitrag war ich zu dem Schluß gelangt, daß ein Kunstwerk nicht
allein aus der Ratio hervorgehen könne. Um als Kunstwerk zu gelten,
müsse es aus dem Bereich der reinen Logik ins Poetische oder
Musikalische hinüberreichen.
Zur Unterstützung dieser weithin akzeptierten Auffassung hatte ich auf
die Geistesgeschichte der griechischen Antike verwiesen. Diese hat
sich, wie es im Titel eines grundlegenden Werkes zum Ausdruck kommt,
"Vom Mythos zum Logos" entwickelt. Dieser Prozeß war mir
als jungem Studenten nicht nur als folgerichtig, sondern als eine
Höherentwicklung erschienen, gleichsam aus dem Dunkel von Ahnungen in
die Helligkeit des Wissens. Ich erkannte damals nicht, daß der
Fortschritt in Richtung auf die rationale Erfassung der Welt verbunden
sein könnte mit einem Verlust.
Wir verdanken Aristoteles die systematische Logik mit ihrer Stringenz
und Evidenz. Aristoteles öffnet den Weg zur wissenschaftlichen Kenntnis
und Erkenntnis der Welt, nämlich ihrer Realität. Führt er aber zu
Einsichten, die den Anspruch auf Wahrheit erheben können, wie sie im
Mythos offenbar wurden?
Ich habe das Thema "Logik und Poesie" nur scheinbar
verlassen und versuche, seine Dialektik am Beispiel des Gottes Apollo
deutlich zu machen.
Niemand kann heute an die Mythen und Göttergestalten der Antike
"glauben". Sie sind nicht real, sie manifestieren aber als
menschengeschaffene Bilder intuitiv erkannte Wahrheiten,
Sinnzusammenhänge. - Apollo, der Lichtgott, der dem Dunkel
und dem Chaos wehrt, verkörpert die Geistesklarheit, die logische
Ordnung, Maß und Gesetz in der Natur, im Sozialgefüge, in der Musik, er
herrscht über Gesundheit und Krankheit. Hand in Hand mit dieser Strenge
geht aber seine Schönheit: Er ist Musagetes, der Anführer der neun
Musen, die alle Künste verkörpern. Seine Begleiterinnen sind die drei
Charitinnen, die bei den Römern Grazien heißen und deren Namen Glanz,
Blühen und Frohsinn lauten.
Ohne Frage gibt es eine erlebbare Schönheit der Logik, gibt es die
Freude über die gefundene Lösung eines mathematischen Problems, an der
Harmonie eines Kristalls. Das aber hat mit Poesie nichts zu tun, wenn
wir auf deren griechische Wortwurzel "poeïn" für
"machen" zurückgehen, auch nichts mit Kunst, wenn wir
beachten, daß sich dieses Wort von "können" ableitet, also
ebenfalls von menschlichem Tun.
Das künstlerische Tun kann sich in der Konkreten Kunst nicht darauf
beschränken und darin erschöpfen, gegebene Gesetzmäßigkeiten
darzustellen. Das "Machen" des Künstlers besteht primär in
der Invention neuer Möglichkeiten des Spiels mit dem gegebenen und
gewählten "Material" von Gesetzmäßigkeiten und logischen
Beziehungen.
Er muß wagen, etwas Neues zu suchen, das vielleicht den Rang des
Poetischen erreicht. Wird er es finden? Wird es ihm zufallen?
Es bedarf einer Inspiration ("Begeisterung"), damit das
Kunstwerk gelinge, damit es lebendig sei.
Ich habe schon an anderer Stelle meine Meinung geäußert, daß die
Konkrete Kunst von der Gefahr der Erstarrung bedroht sei. Sie wird auch
in Zukunft das Prinzip der logischen Ordnung nicht verlassen. Sie muß
aber Freiheit wagen, um zu leben und zu überleben. Deshalb möchte ich
dem Schlußsatz von Goethes berühmtem Sonett "Natur und
Kunst" einen Halbsatz anfügen:
" ... und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben"
- wenn wir sie uns nehmen!
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