Einführung von
Bettina von Gilsa, Kunsthistorikerin M.A., Kuratorin,
zur Ausstellung von
Johannes von Stumm
Licht und Leere
Skulpturen
am 14. Mai 2023 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Johannes von Stumm, geboren 1959 in München, studierte zunächst Jura und Politikwissenschaften ehe er an der Akademie der Bildenden Künste in München sein Bildhauer-Diplom erwarb und sich anschließend in der Sommerakademie Frauenau auch noch Heißglastechniken aneignete. Er wirkt bis heute als Künstler, Dozent, Verbands- und Jurymitglied international erfolgreich und gefragt. Er lebt und arbeitet in South Fawley, Oxfordshire, UK.
Kann man Metall, Stein und Glas miteinander zu einem Kunstwerk
verbinden? Unmöglich!
, meinte einst sein Akademielehrer Erich
Koch in München, aber Johannes von Stumm ließ sich nicht beirren. Es
war ihm ein Bedürfnis, gerade diese kontrastierenden Materialien
zusammenzubringen, hatten sie doch einen direkten Bezug zu seiner
Herkunft. Väterlicherseits existierte einst ein Eisenhüttenwerk im
Saarland, mütterlicherseits eine Glashütte in Böhmen und er war am Fuße
der Alpen mit Granit und Eiszapfen aufgewachsen - Heimatboden.
Drei sehr harte und beständige, optisch und haptisch kontrastierende Materialien: der Stein ein Natur-Urprodukt, der behauen werden kann, farblich individuell mit rauer Oberfläche; das Eisen - ein natürliches Eisenerz durch den Menschen weiterverarbeitet zu Stahl oder Edelstahl - das glühend heiß geschmiedet, gegossen oder gewalzt, geschnitten, gebogen und verschweißt werden kann, hart und kühl, von dunkler Farbe; und das Glas - ein Produkt aus Quarzsand und Zusätzen das glühend heiß verflüssigt und in Form gegossen werden kann, wasserklar, glatt und lichthell, gleichfalls hart aber leichter als die beiden anderen Materialien und auch verletzlicher.
Will man diese unterschiedlichen Materialien miteinander verbinden, muss man beachten, dass das Glas das empfindlichste und schwierigste Material in der Reihe ist und daher die Ausgangsform bestimmt. Ein mit dem Mund geblasener Glaskörper ist unveränderbar und ein Unikat. Für Stumms Arbeiten ist Glas also das Ausgangsmaterial, dem sich Stein und Metall anpassen müssen.
Für die Verbindung dieser so unterschiedlichen Werkstoffen setzte er auf geometrische Formen: Quadrat, Kreis, Dreieck, Rechteck. Angewendet werden der goldene Schnitt und einfache Teilungen. Für die Verbindung seiner Werkstoffe greift er auf das Tischlerhandwerk zurück. Seine konkreten, geometrischen Skulpturen sind lose zusammengesetzte - nicht verklebte - Elemente, die sich gegenseitig halten und stützen. Halt haben die Körper durch Nut- und Feder-, Schlitz- und Zapfen-Verbindungen.
Die Objekte besitzen in ihrem kontrastierenden Erscheinungsbild einen hohen ästhetischen und haptischen Reiz. Schwerer, rauer und farblich lebendiger Naturstein: dunkelgrau-melierter Granit oder nach seiner Übersiedelung nach England auch gelber englischer Muschelkalk kontrastieren mit transparentem, glattem Glas, welches auch eine wellige Struktur besitzen kann. Dazu das Metall: dunkle Bronze, rötliches Eisen oder auch mattierter Edelstahl. Hier gibt es vielfältige Kombinationsmöglichkeiten.
Ein Wechselspiel mit materiellen Kontrasten, das ist es, was Johannes von Stumm interessiert! Vermeintlich Unvereinbares (Material) wird in seinen Skulpturen zu einem ausgewogenen harmonischen Ganzen verbunden. Zitat:
Dunkel und Hell, Transparenz und Undurchdringlichkeit, Rauheit und Glätte, Stärke und Zerbrechlichkeit formen ein Ganzes und bedingen einander. Es ist eine Beschwörung des Gleichgewichts aller Gegensätzlichkeiten.
Das Denken und Arbeiten in Kontrastpaaren übernimmt Johannes von Stumm auch in seiner zweiten Werkgruppe, einer figürlichen Werkgruppe. Die "Kleine Grazie" steht hier ganz am Anfang noch als Verbindungselement zur ersten Werkgruppe: eine vollplastische Skulptur, bestehend aus einem Steinsockel und einem Körper aus Metall und Glas, in der äußeren Gesamtform geometrisch schlicht, reduziert und konzentriert. Im Detail kontrastieren scharfkantige, opake, dunkle Bronzeteile mit weich gerundeten, transparenten, hellen Glaskörpern im Wechsel. Glas und Bronze, höchste Klarheit, lichte Transparenz und schwerste opake Dichte, Licht und Dunkel, im Wechsel vollkommen ausbalanciert, anmutig und elegant
Gleichzeitig entwickelt J. v. Stumm im Prägedruck "Berührung" und im "Quadratischen Paar" das Motiv - hier die Hand - durch Spiegelung an einer Achse einmal in positiv erhabener Form und einmal in negativer tiefer Form als Relief.
Aus Positiv- und Negativ-Form entstehen bei der Umsetzung in die Metallgestaltung, aus einem zweidimensionalen Metallblech eine Voll- und eine ausgestanzte Leerform, wie wir dies bei dem Motiv "Berührung" hier vor der Wand sehen. Frei in den Raum gestellt und das Edelstahlblech räumlich halbkreisförmig aufgebogen, steht das "Paar im Gespräch". Das Paar, ein nackter Mann (in Vollfigur) und eine nackte Frau (in ausgeschnittener Leerfigur) kontrastieren im Geschlecht, nicht aber in der Größe und Haltung, die symmetrisch einander zugewandt und vertraut berührend, gleichwertig sich gegenüberstehen.
Ein Bildhauer denkt und drängt jedoch zur räumlichen dreidimensionalen Gestaltung. Wie entwickelt sich Johannes von Stumms Leerfigur zur vollplastischen Figur? Geometrische Körper als hinterfangende Ausgangsformen und eine anfangs eckig kantige, abstrahierte und reduzierte Darstellung der Figuren wie bei den "Sitzenden" verzichten auf die positive Vollform, beschreiben nur noch die Leerform. Die sitzende, nicht existente Figur ist frontalansichtig, von der Seite sieht man nur den umrahmenden hohen Lehnstuhl. Das ist die besondere Erfindung J. v. Stumms: die Gestaltung der Leerfiguren, seine materiell nicht greifbaren, körperlosen, "immateriellen" Figuren.
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Entwicklung von kantig eckig zu mehr gerundeten weicheren Formen geht. Die Figuren werden immer weiter vereinfacht und auch geschlechtsneutraler, d. h. allgemein und universell verständlich dargestellt. So ist beispielsweise die "Willkommensfigur" eine Weiterentwicklung seiner christlichen Skulptur "Ich bin das Licht der Welt". Am Kreuz ist die ausgesparte Figur des Christus buchstäblich das durchscheinende Licht, in der Haltung erkennt man den Gekreuzigten, aber auch den Verweis auf die erlösende Auferstehung in der nach oben hin offenen Form des Kreuzes. Losgelöst von einer rein christlichen Deutung kann man die ausgesparte "Willkommensfigur" mit den weit geöffneten, nach vorne umfangenden Armen als Schutzschild und Blick, bzw. Öffnung in eine lichte, hellere Zukunft lesen.
Hier hinten an der Stirnwand und nach rechts habe ich die kontemplativen, meditativen immateriellen Skulpturen nebeneinander aufgereiht. Der sitzende Buddha, der Knieende, der sich vor der Erde Verbeugende. Haltungen, die den Gebetsritus verschiedener Religionen aufnehmen: Besinnung und Konzentration, auch Demut vor der Schöpfung.
Prominent in die Mitte an die Wand platziert, die Konstruktionszeichnungen zur kleinen immateriellen Figur der "Unendlichkeit". Ausgangsvorlage war die berühmte, 1200 Jahre alte, japanische Buddhafigur aus Nara. Hier können wir in den vier Ansichten und Schnitten die Entstehung der immateriellen Figur nachvollziehen. Die plastische Ausführung der immateriellen Figur ist hier nahezu vollplastisch gelungen. Die Figur erschließt sich aus allen vier Ansichten, ist gänzlich transparent, luftig und nach allen Seiten hin offen: Unendlichkeit.
Die Herstellung übernimmt v. Stumm eigenhändig, die Ausführungen sind sehr aufwendig und zeit- und kraftintensiv. Er arbeitet in verschiedenen Größen: klein, mittelgroß und groß. - Letztere sind hier leider nicht vertreten, sie sind für den Außenraum gedacht. - Neben singulären Werken legt er von einigen Skulpturen auch kleine Editionen auf. Häufig sind seine Skulpturen undatiert, weil er sie als Modelle versteht. Seine Arbeiten sind alle betitelt: einfach beschreibend oder aber inhaltlich interpretierend. So wird deutlich, dass es v. Stumm um den geistigen Inhalt seiner Skulpturen geht und er Anregungen und Anleitungen zum Sehen und Verstehen geben will.
Johannes v. Stumm strebt nach einem universell gültigen Menschenbild, welches in allen Kulturen der Welt verständlich sein soll. Durch die leere und offene Darstellung schließt die Skulptur niemanden aus. Jeder ist gemeint. Es ist das Streben und der Wunsch nach vollkommener Harmonie.
Zitat v. Stumm:
Meine Figuren sind gefüllt mit Licht und Dunkel, Sonne, Regen, Schnee und Hagel. Und sie mucksen sich nicht. Ihre Individualität hat sich aufgelöst wie ein Regentropfen ins Meer fällt.
Und ein zweites Zitat:
Wenn meine Arbeiten einmal ausgegraben werden sollten, dann gibt es nur noch die Skulptur. Der Titel und der philosophische Unterbau und die Entstehungsgeschichte und der Bildhauer werden vergessen sein. Dann zählt nur noch die Ausstrahlung, wenn es mir gelungen ist, diese einzufangen.
Lieber Johannes, ich glaube, es ist dir gelungen!