Ansprache von Dr. Claudia Rönn-Kollmann zur Eröffnung der Ausstellung von
Susanne Allgaier
ZUFALL | KONKRET
Wellenlinien
am 14. Juli 2022 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde unserer Stiftung,
herzlich begrüße ich Sie zur Sommerausstellung Zufall | Konkret – Wellenlinien. Mit den Arbeiten der in Stuttgart geborenen, in Freiburg lebenden und arbeitenden Künstlerin Susanne Allgaier setzt die Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps nach den Gastausstellungen von Mathias Hornung und Andreu Alfaro ihre Ausstellungsreihe zur Auseinandersetzung mit dem Thema Linie in überraschender Weise fort. Damit wagt sie einen Exkurs raus aus dem Vertrauten und der strengen Positionierung Konkreter Kunst.
Ein besonderer Gruß gilt Dir, liebe Susanne, und Deiner Schwester Regine Anderson, die mit ihrem Spiel auf der Harfe der Ausstellung den passenden Klang verleiht.
Sehr herzlich möchte ich die Mutter der beiden Künstlerinnen begrüßen, die heute bei uns ist – was in Anbetracht der hohen sommerlichen Temperaturen und des Lebensalters nicht selbstverständlich ist.
Die Ausstellung "ZUFALL | KONKRET. Wellenlinien" lädt dazu ein, über den Kontrast unterschiedlicher Kunstformen das jeweils Besondere zu akzentuieren.
Konkrete Kunst ist von geometrischen Formen und einem wichtigen Bezug zur Farbe als Material gekennzeichnet. Sie nimmt für sich in Anspruch, eine Kunst um der Kunst selbst Willen zu sein. Es geht um das Konstruieren einer ästhetischen Vorstellung, die nur sich selbst genügen muss.
Konkrete Kunst ist stark mit mathematischen Vorgehensweisen und geometrischen Konstruktionen verknüpft. Diese werden zwingend als Grundlage für die Erstellung von Werken angesehen. Zudem wird das Werk zuerst geistig in seiner Ganzheit durchdacht und "erstellt", bevor es ausgeführt wird. Spontane Veränderungen sind nicht vorgesehen.
Diametral dazu, also in genau entgegengesetzter Richtung gegenüberstehend, die Kunst von Susanne Allgaier, die sich einer eigenen Formensprache bedient, in gänzlich anderer Weise "konstruiert".
Ihre Arbeiten umfassen Installationen, Objekte, Land-Art-Projekte und begleitende Fotodokumentationen. Bevorzugt verwendet sie dafür "arme Materialien", die sie im spielerischen Umgang mit Zeit und Vergänglichkeit sowie Licht und Schatten in einen neuen Kontext stellt.
Dabei greift sie Kulturtechniken auf, die vorwiegend Frauen zugeschrieben werden, u. a. die Verwendung von Schnüren und Fäden zu "Verstrickungen". Die Linie repräsentiert einen Faden, der wiederum zu Verflechtungen führt; Haare von Pferden und Matratzen als Werkstoff dienen dem Wechselspiel von Fläche und Linie.
Einen ersten Eindruck davon bekommen Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie die Werke im vorderen Teil der linken Längswand anschauen.
- Schwarze Kugel aus Rosshaar
- Seegras-Matratze mit ausgeschnittenem Kreis (Muster erinnert an eine Stahlskulptur unseres Stifters Roland Phleps)
- Bachbild (Altbach, Hammermühle – Name Pochgasse)
- "Verstrickung" aus Hanfschnüren (Quadrat obendrauf, in dem Loch ein Faden doppelt; Linie - Zufall)
Mit ihrer prozesshaften Vorgehensweise gelingt es Susanne Allgaier, Momente zu ergreifen und in vielfältiger Weise mit unterschiedlichen Materialien gestalterisch auszuarbeiten. So hat sie tagelang Konstruktionen angefertigt, um die fortwährende Energie, die in einem Bach läuft, kommt und geht, in Wellenlinien darzustellen – den Zufall konkret werden zu lassen.
Wenn Sie den Rundgang durch die Ausstellung an der Längswand fortsetzen, sehen Sie eine Serie von vier Bachbildern mit den "eingefangenen Wellen". Und auf der gegenüberliegenden Seite fünf mit neuer Methode hergestellte Bilder. Dazu hat die Künstlerin eine Luftmatratze mit Handwerkszeug auf einen größeren Bach als den Altbach gebracht und konnte so den Bach vom Kreis (verursacht kleinere Ausschläge der Materialien im Bach) zur Linie hin zeichnen / malen lassen.
In den "Verstrickungen" formt Susanne Allgaier mittels der
Linien – einer Vielzahl von Fäden – skulptural anmutende
Objekte. Was das bedeutet? Ich fragte die Künstlerin.
Verstrickungen gibt es nur, wenn eine klare Grundordnung in
Unordnung gerät. Im Prozessualen konkretisiert sich der Zufall.
In unserer Ausstellung sehen Sie hier insgesamt sechs dieser Objekte:
- Hanfschnüre im vorderen Bereich
- Dreiergruppe mit Fäden aus Papier, handgesponnenem Flachs ("8 Fädele je Loch"), gewachster Leinenschnur (Stichwort: segeln)
- Zweiergruppe mit Fäden aus Baumwolle und Sisal
Zur Veranschaulichung je eine kleine Arbeit aus den für die "Verstrickungen" verwendeten Materialien.
Nach diesem kurzen Rundgang, meine Damen und Herren, mit Blick auf
das Holzobjekt an der Stirnwand – verhärtete Efeu-Triebe, die bei
der Künstlerin, wen wunderts - die Assoziation Wellenlinien auslöste,
fühle ich mich an die Worte unseres verstorbenen Stifters Roland Phleps
erinnert, der mich mit Susanne Allgaier bekannt machte:
Susanne Allgaier ist sehr kreativ, sie hat Ideen, sie kann was;
Vielfalt zeichnet sie aus. Material führt bei ihr zur Form.
Und wer unseren Stifter persönlich kannte weiß, dass er mit Lob eher
zurückhaltend war.
Ja, meine Damen und Herren, Susanne Allgaier ist originell; sie experimentiert, ergreift Momente und bringt sie in Form – formt Unformbares. Dabei verschreibt sie sich nicht einem bestimmten Material, sondern beobachtet, lässt sich ein, komponiert neu. "Ihre" Linien entstehen über den Verlauf und die Menge der Linien ergibt Volumen.
Anschauliche Beispiele für die Kreativität und Vielfalt im Werk der
Künstlerin sehen sie auch auf der Galerie, z. B. beim Objekt
"Wasserfall", der Werkgruppe Lebenslinien sowie der Gruppe
"Blick aufs Detail – Zusammenführung von Wasserbildern".
Ich sammle Fingerabdrücke vom Wasser
, sagte Susanne Allgaier. Und
so hatte sie die Idee, den eigenen Fingerabdruck (den sie zuvor ihr
gemäß hergestellt hat) diesen Bildern als Wasserzeichen zuzufügen.
Es ist nicht verwunderlich, dass Susanne Allgaier auf viele Jahre erfolgreichen künstlerischen Schaffens zurückblicken kann: Ausstellungen und Beteiligungen an Kunstmessen im In- und Ausland; "Artists in Residence" in Cantagal (Frankreich) sowie Atelieraufenthalte in Berlin und Kairo (Ägypten). Sie erhielt den Frauenförderpreis des Katholischen Bildungswerks Ravensburg und der Diözese Rottenburg.
Hervorheben möchte ich die Ausstellung "Weg Stab Wort", 2013 in der St. Jodoks Kirche in Ravensburg, da diese einen Bezug zu unserer Ausstellung hat. Auf der Galerie links sehen Sie die Skulptur "Wege" – 10 Steine aus Papier mit Wachs. Es ist interessant zu erfahren, was die Künstlerin dazu erzählen wird ...
Meine Damen und Herren,
mehr als 20 Jahre lang hat unser Stifter Roland Phleps im
Sommer eine Werkschau mit seinen neuen Arbeiten gezeigt. Das Gespräch
mit Besuchern lag ihm am Herzen. Er wollte seine Freude am Gestalten
mit anderen Menschen teilen. Gern war er ein Lernender bei den
Gastausstellungen anderer Künstler. Seine Vorliebe für die
Geometrie brachte ihn in die Nähe konkreter und konstruktiver
Künstler.
Gern setzen wir das Bewährte fort – 3 Gastausstellungen konkreter und konstruktiver Künstler pro Jahr durchzuführen.
Die Erinnerung an die Person und das Werk von Roland Phleps wird in anderer Weise erfolgen als in ständig wiederkehrender Präsentation seiner Stahlskulpturen. So denken wir über einen Förderpreis nach, der den Namen von Roland und Hanna Phleps bekommen soll, dabei selbstverständlich auch einen Bezug zum Werk des Stifters.
Und was machen wir in den schönen Sommermonaten mit dieser schönen Ausstellungshalle? Sommerpause - die Ausstellungshalle schließen? Sollten wir da nicht anderen Perspektiven eine Chance geben – Neues wagen und Gutes bewahren? Ja, wir haben entschieden, Neues zu wagen und wollen mit den Sommerausstellungen andere Blickwinkel zulassen, attraktiv sein – auch für ein Publikum, das uns noch nicht kennt oder keine Interessenten für konkret-konstruktive Ausrichtung sind.
Meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass Susanne Allgaier als erste diesen
experimentellen Schritt mit uns geht – herzlichen Dank!
Danke auch für die gute Zusammenarbeit, den Aufbau der Ausstellung und die Geduld mit so mancher Organisationsschwäche, die wir noch beheben müssen.
Nicht vergessen möchte ich Conny Krupp, die Dich, liebe Susanne, in der im doppelten Sinn heißen Phase beim Aufbau der Ausstellung unterstützt hat. Dank auch an Karin Thomas, die das Frauenteam verstärkte.