Einführung von Hans Ruoff in die Ausstellung
Karl Menzen |
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Karen Lüderitz |
MELOS |
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Raumklang |
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Farbklang |
am 13. September 2020 in der Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Melos. Raumklang. Farbklang: Für mich hat dieser Titel Fragen aufgeworfen:
Was ist Melos?
Raumklang.
Farbklang: Was hat diese Ausstellung mit Musik zu tun?
Und schließlich: Was verbindet eine Malerin aus Santiago de Chile und einen Stahlbildhauer aus Berlin? Farbe ist nicht Stahl, Deutschland und Chile trennen zwölftausend Kilometer. Karen Lüderitz und Karl Menzen sprechen, denken und träumen in unterschiedlichen Sprachen.
Und doch gibt es zwischen den beiden eine große Gemeinsamkeit.
Was wir heute hier sehen, ist das Ergebnis eines sehr besonderen künstlerischen Prozesses. Dieser Prozess begann vor zehn Jahren: mit der Idee für einen Austausch zwischen Künstlerinnern und Künstlern aus Berlin und aus Chile. 2014 reist Karen Lüderitz dann nach Berlin und besucht Karl Menzen in dessen Atelier.
Im Vorfeld unserer heutigen Ausstellung hat sie mir geschrieben, wie sie diesen Besuch in Erinnerung hat:
Im Halbdunkel (des Gartens sah ich) anmutige Gestalten, die ein Ballett zu tanzen schienen, zwischen den Pflanzen und den Schatten der Bäume. Helle, ätherische, mächtige Stahlfiguren, die der Schwere des Materials trotzten und die umgebende Luft einbezogen.
Karen sah Skulpturen, wie wir sie heute hier in dieser Halle sehen. Stahlskulpturen. Entworfen und hergestellt von einem Künstler, der sich einen eigenen Weg in die Kunst erarbeitet hat. Karl Menzen ging nach der Schule nicht an die Kunstakademie, sondern zunächst in die Praxis. Er wurde Mitarbeiter des Stahlbildhauers Volkmar Haase. Dort lernte er das Handwerkliche. Parallel dazu studierte er an der TU Berlin Werkstoffwissenschaften. So schuf er sich sein Fundament, fachlich, handwerklich und im Austausch mit einem Künstler. Erst dann machte er sich an die Kunst.
Seine Skulpturen bilden keine Gegenstände ab. Auch nicht abstrakt. Die meisten basieren auf geometrischen Grundformen – Kreis – Dreieck – Rechteck – Quadrat. Von ihrem Ursprung her sind sie konstruiert, in der Ausführung minimalistisch.
Von der Kunstrichtung her gehören diese Skulpturen zur sogenannten Konkreten Kunst. – Und deshalb wurde Karl Menzen vor zwei Jahren zum ersten Mal hierher in die Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps eingeladen.
Der Begriff Konkrete Kunst hat mich zunächst etwas verwirrt. Ich dachte, "konkret" sei das Gleiche wie "gegenständlich". Aber in der Kunst meint es das Gegenteil. In der Abfolge der Kunstrichtungen gegenständlich – abstrakt – konkret bezeichnet "Konkrete Kunst" ein Bild – oder hier eine Skulptur, die sich völlig löst vom Abbild eines Gegenstandes und nur der Form folgt und den Möglichkeiten, die das Material bietet.
Bei Karl Menzen kommt dazu: Er spielt mit den Formen und mit den Möglichkeiten, die Stahl als Material bietet. Dadurch haben seine Skulpturen nichts Schweres oder Erdrückendes. Sondern bekommen etwas Leichtes, fast Schwebendes.
Über seine Arbeit sagt Karl Menzen: Ich sehe und empfinde eine Nähe zur Musik. Von der inneren Struktur her hat Skulptur auch mit Musik zu tun
Karen Lüderitz hat dies gesehen, als sie Karl Menzen vor sechs Jahren im Atelier besuchte. Und sie erkannte: Es gibt da etwas Verbindendes zwischen uns.
Mir schrieb sie jetzt:
Damals haben wir zum ersten Mal formuliert, dass unsere Arbeiten vielleicht etwas Gemeinsames haben, eine Dualität zwischen dem Zarten und dem Starken, zwischen dem Leeren und dem Vollen. Etwas Bewegtes und Tanzendes. Dadurch haben unsere Arbeiten in gewisser Weise etwas Musikalisches.
Karl Menzen war schon früher auf eine innere Verbindung seiner Arbeit zur Musik gestoßen: in einem Radio-Interview des Komponisten Wolfgang Rihm.
In dem Gespräch entwickelte Wolfgang Rihm einen ungewöhnlichen Gedanken. Das Wichtigste an einem Musikstück seien nicht die Töne, sondern der Raum zwischen den Tönen. Dieses Dazwischen nannte er Melos. Dieses Melos transportiere Energie und trage so die Melodie. Und Wolfgang Rihm ging sogar noch einen Schritt weiter: Qualität entstehe durch Wegnehmen, durch die Lücke, durch den Zwischenraum.
Karl Menzen fand hier formuliert, was er selbst spürte: Die Wirkung einer Skulptur beruht nicht nur auf Material und Form, sondern auch auf dem Leerraum zwischen ihren Teilen und um sie herum. Hier fließt Energie. Diese Energie strahlt eine Skulptur auch in den Raum ab. Und wir spüren diese Energie beim Betrachten.
Karen Lüderitz sieht dies ähnlich. Deshalb hatte bei ihrem ersten Besuch in Berlin das Gefühl, dass es etwas Gemeinsames gebe zwischen ihren Arbeiten.
Vor zwei Jahren nahmen Karl Menzen und Karen Lüderitz den Faden wieder auf. Bei der deutsch-chilenischen Gruppenausstellung maleta in meiner Galerie in Berlin und bei einem Workshop im Institut für Kunst und Kultur in Lehnin.
Deutlicher als bei ihrem ersten Treffen erkannten sie: Wir arbeiten zwar mit sehr unterschiedlichen Materialien, aber es gibt eine innere Gemeinsamkeit. Uns beiden sind die Leerräume wichtig, das "Dazwischen". Der Bereich, in dem Energie fließt.
Für Karen Lüderitz ist dieses "Dazwischen" der Bereich zwischen den Farbschichten, aus denen sie ihre Bilder aufbaut. Auch sie will nichts Gegenständliches abbilden, sondern dem Material Raum geben. In ihrem Fall der Farbe.
Dabei schöpft sie aus der Farbpalette der Natur ihres Landes: dem Gelb der Wüste, dem Rot der Sonnenuntergänge, dem Blau von Himmel und Meer. Je leerer die Landschaft ist an den Rändern des Landes, desto intensiver leuchten die Farben.
Das Ergebnis sehen wir hier an den Wänden. Wer Chile kennt, kennt diese Farben. Meine Partnerin Regina und ich sind im vergangenen Winter durch Chile gereist. Wir haben diese Farben gesehen. Früheren Generationen ging es offenbar genauso. Reginas Urgroßvater fuhr 1879 mit dem Schiff von Chile nach Europa. In seinem Tagebuch beschrieb er den Sonnenuntergang in der Magellanstraße:
(Ein Glutmeer) - Mal erstrahlte es wie Nordlicht, mal sah es aus wie ein Weltbrand hinter einer grauen zerrissenen Leinwand. Ströme glühender Lava schienen über eine dunkle Fläche ausgegossen. Als die Sonne hinter den Wolkenschichten vorkam, erschien inmitten des Rots strahlendes Gold.
Ein Maler sollte einmal einen solchen Sonnenuntergang sehen, um sich davon zu überzeugen, dass alle Farbkonstellationen möglich waren. Er könnte in allen Farben von violett bis rot wühlen. Je kühner, desto besser.
Karen Lüderitz setzt ihre Farben intuitiv. Für sie haben Farben auch etwas von Musik. Sie seien wie Klänge, die sich zu einer Melodie verbinden. Im Universum gebe es Musik, und sie versuche, diese Musik auszudrücken.
Zu ihrer Arbeit als Künstlerin kam Karen Lüderitz wie Karl Menzen nicht auf dem direkten Weg. Sie studierte Kunst und Industriedesign und entschied sich dann, als Designerin zu arbeiten. War zunächst Design Managerin und gründete dann ein eigenes Büro. Parallel dazu erschloss sie sich schrittweise ihren Weg als Künstlerin. Sie wollte dies ohne Druck tun und ohne den Zwang, damit Geld zu verdienen.
2006 wurde Karen Lüderitz zu einer Ausstellung nach Washington eingeladen. Das war für sie der Wendepunkt. Sie schloss ihr Designbüro und widmete sich ganz der Kunst. Heute hat sie in Chile einen Namen. Im Präsidentenpalast in Santiago hängt eine Arbeit von ihr, und in Buenos Aires nimmt sie an der Ausstellung Treasures of America teil, als eine von 29 Künstlerinnen und Künstlern aus ganz Lateinamerika.
Als Karen Lüderitz und Karl Menzen ihre künstlerische Verwandtschaft entdeckten, entstand die Idee für ein gemeinsames Projekt. Karl Menzen war eingeladen, ein zweites Mal hier in der Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps auszustellen: im Format Tandem, das zwei Kunstschaffende gemeinsam präsentiert. Karl Menzen konnte die zweite Künstlerin auswählen, und er entschied sich für Karen Lüderitz.
Und dann begannen beide, für diese Ausstellung zu arbeiten. Fotos von Bildern und Skulpturen gingen zwischen Berlin und Santiago hin und her. Und über 12.000 Kilometer hinweg entstand eine sehr besondere Zusammenarbeit. Karen schrieb, sie habe Karl Menzens Skulpturen vor sich gesehen, während sie gemalt habe:
Karls Arbeiten haben mich während des gesamten Prozesses begleitet und ich hatte das Gefühl, ich singe ein Duett. Da war Raum, Musik und Tanz. Da waren bewegte Figuren, der Raum war leer und voll, da war Luft.
Karen Lüderitz malte die Bilder für diese Ausstellung in Quarantäne. Wegen Corona galt in Santiago monatelang eine Ausgangssperre, in ihr Atelier durfte Karen nicht. Also malte sie zu Hause. Und wusste nicht, ob sie zur Eröffnung heute würde kommen können. Schließlich wurde klar: Wegen Corona würde sie nicht nach Deutschland einreisen dürfen. Also gingen ihre Arbeiten ohne sie auf die Reise.
Und so kam Melos. Raumklang. Farbklang trotz Corona zustande. Raumklang und Farbklang meint die innere Musik in diesen Arbeiten. Melos steht für die Energie in den Leerräumen und die Ausstrahlung auf uns, die wir vor diesen Arbeiten stehen.
Karin Lüderitz fasst ihre Vision für diese Ausstellung so zusammen:
Unser Traum kann jetzt nur auf ungewöhnliche Weise wahr werden ... aber er wird trotzdem wahr werden! Ich möchte sehen, wie es einen gemeinsamen Tanz gibt aus Luft, Raum, Leichtigkeit, Musik und Farbräumen. Ich hoffe, dass daraus eine harmonische Sinfonie entsteht. Und ich bin mir sicher, dass es so sein wird!