Ansprache von Dr. Claudia Rönn-Kollmann
zur Eröffnung der Ausstellung von
Karl Menzen
Transformation
Stahlskulpturen
am 13. Mai 2018 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde unserer Stiftung,
Karl Menzen, den ich herzlich begrüße, wurde 1950 in Heppingen,
(Rheinland-Pfalz) geboren, lebt und arbeitet seit 1986 in Berlin.
Über das Studium der Werkstoffwissenschaften an der Technischen
Universität Berlin (Dipl.-Ing.) und als Mitarbeiter des
Metallbildhauers Volkmar Haase kam er zur eigenen bildhauerischen
Gestaltung.
Seine umfangreichen Beteiligungen an Ausstellungen,
Wettbewerben und Symposien sowie eine kleine Dokumentation seiner
Skulpturen im öffentlichen Raum entnehmen Sie bitte unseren
Aushängen in der Skulpturenhalle oder seinem Katalog
"Stahlwerk", den Sie auch käuflich erwerben können. Mein
Dank gilt an dieser Stelle dem ehemaligen Kustos der Neuen
Nationalgalerie Berlin, Dr. Fritz Jacobi, dem ich
wertvolle Hinweise für meine Einführung verdanke.
"Made of Steel" nennt Karl Menzen seine
"Anmerkungen zur Verwendung von Stahl in meiner Arbeit als
Bildhauer".
Stahl ist der optimale und zeitgemäße Werkstoff für die
Konstruktion; für den konstruktiv arbeitenden Bildhauer.
Der Stahl ermöglicht dem Bildhauer die direkte und
eigenhändige Umsetzung der Idee vom Modell (erste Ideen entstehen
im Karton; keine Konstruktionszeichnungen) bis zur großen
Ausführung.
Eigenschaften des Stahls wie Duktilität, Elastizität,
Homogenität, hohe Festigkeit und Schweißbarkeit faszinieren immer
wieder neu und haben großen Einfluss auf die Form.
Das elementare Erleben des Fügens von Teilen über den
schmelzflüssigen Zustand beim Schweißen.
Die hohe Materialästhetik; besonders bei den
Chrom-Nickel-Stählen.
Unsere Stiftung zeigt aus dem reichhaltigen Œuvre von
Karl Menzen Arbeiten aus Stahl.
Die Eigenschaften des Stahls und der Herstellungsprozess
bestimmen bei Karl Menzen die Findung und die Entwicklung der
einfachen und klaren Formen, in denen der leere Raum als
gleichwertiges skulpturales Mittel einbezogen ist.
Der unmittelbare Bezug zur Werkbank spielt dabei für sein
künstlerisches Schaffen eine grundlegende Rolle. Menzens enger
Kontakt zum Material, sein direktes Angehen des Metalls und seine
Vertrautheit mit dem Konstruktiven finden ihren Niederschlag in
seinen Skulpturen.
Karl Menzens Thema ist die Kreierung des Raumes aus der Ebene,
d.h. die Transformation einer ebenen Stahlplatte in ein räumliches
Gebilde. Zwei entgegengesetzte Schnitte und die anschließende
Verformung einer oder mehrerer Teilflächen beschreiben im
Wesentlichen den Prozess. Das räumliche Resultat wird durch Lage
und Länge der Schnitte sowie Verformungsgrad, Verformungsart und
Verformungsrichtung bestimmt.
Allansichtigkeit (keine Vorder- oder Rückseite) und vielfache
Stellmöglichkeiten eröffnen die verschiedenen Aspekte ein und
derselben Skulptur und appellieren an den homo ludens.
Karl Menzen setzt auf eindeutige Trennung von Figur und Grund,
von Körper und Raum oder von fester, greifbarer Materialität und
sphärisch umfließender Substanz. Der Raum wird gleichsam
geometrisierend aufgeschnitten und gerät so in Bewegung. Es
entsteht eine behutsam anmutende, durchaus korrespondierende
Begegnung zwischen dem vermeintlichen Innen und dem vermeintlichen
Außen.
Geometrische Elemente wie Quadrate, Rechtecke und Kreise bilden
Grundformen, die durch Einschneiden und Verformen transformiert und
aus der Fläche in den Raum geführt werden.
Über das materiell Vorhandene hinaus und über größte Klarheit
und Reduktion loten Menzens Stahlskulpturen die Möglichkeiten von
Linie, Fläche und Raum aus. In Serien verschiedener Schnittbilder
entsteht eine Vielzahl von Möglichkeiten – auch die
"optimale Form", wie Menzen die auf der Einladungskarte
zu dieser Ausstellung abgebildete Quadrat-Transformation VIII
aus dem Jahr 2010 einstuft.
Meinen kleinen einstimmenden Rundgang in dieser Ausstellung mit
Verweis auf ausgewählte Skulpturen möchte ich beginnen mit einem
Lob der Einfachheit. Einfach ist was überzeugt, was die Sicherheit
vermittelt: So ist es richtig! Das Wesentliche können wir auf den
ersten Blick erfassen.
Durch Reduktion der Mittel gelingt es Menzen beim
Viertelbogen I (steht vor der Hallentür im Außenbereich) in
hervorragender Weise, mit der Strenge und Entschlossenheit eines
rationalen Geistes flächige Körperlichkeit und bewegte Statuarik zu
vereinen: Einschnitt auf ein Rechteck, gerade Linie, rechter
Winkel, Schrägstellung, die Spannung erzeugt - dadurch keine
starre, sondern eine "lebendige" Linie -, eine
Skulptur voller Bewegtheit. Faszinierend!
Auch die kleineren Viertelbogen II, III, IV sprechen diese
"einfache" Sprache (nicht zu verwechseln mit simpel oder
stupide).
Viertelbogen IV = der einfachste aus der Trilogie auf Stirnseite der Empore: einschneiden – herausbiegen = aus der Fläche in den Raum.
Viertelbogen II zeigt das Ergebnis mit eingeschnittener Diagonale.
Viertelbogen III mit zwei eingeschnittenen Schrägen im Winkel ist die komplexeste Variante.
Karl Menzen versteht es, bei immer wiederkehrenden
Konstruktionsprinzipien sehr viel Abwechslung hervorzubringen.
Die drei in feinster Weise vom Rost gezeichneten Skulpturen aus
dem Skulpturenpark am Klostersee in Lehnin sind eindrucksvolle
Werke höchst gelungener
Torsion*,
die sich aus dem "Machen" mit dem Stahl ergibt. Roland
Phleps formulierte das beim Aufbau der Ausstellung treffend:
Er (der Stahl) macht das uns zu Liebe; die Kurve ist
nicht berechnet. Karl Menzen: Mein Anteil
ist ganz gering; die Physik, das Material, die Elastizität; die
Abkantung ist konträr, daraus entstehen die Spannung und die
Kurven. Es ist faszinierend, wie man mit ganz geringen Eingriffen
Raum schaffen kann. Hier sieht Menzen auch eine
Näherung an Architektur. ... kann man sich auch gebaut
vorstellen.
Ob konträr – anliegend, konträr – parallel oder
konträr – offen: Das Austarieren gegenläufiger skulpturaler
Elemente, die sich fragil aus der Verankerung erheben und fast
akrobatisch der Schwerkraft zu entfliehen scheinen, erweist sich
als stets vorhandenes Spannungspotenzial, das den Betrachter
beinahe suggestiv in seinen Bann zieht.
Quadrat-Transformation III (Empore) zeigt in
beeindruckender Weise was passiert, wenn ein Quadrat dreimal,
abwechselnd von unten und von oben, eingeschnitten und die so
beweglichen Flächen – bis auf eine stehenbleibende – wie
Flügel, mal konkav, mal konvex, gebogen werden. Der Stahl bekommt
unter den Händen von Karl Menzen eine bewegende Leichtigkeit und
Elastizität; die Skulptur beginnt gleichsam zu tanzen. Karl Menzen
formuliert bescheiden: Wichtig ist mir auch das
Spannungsfeld von ruhenden und bewegten Komponenten einer
Arbeit. Die Empfindung und ästhetische Beurteilung
überlässt er den Betrachtern.
Gern zitiere ich an dieser Stelle unseren Stifter Roland Phleps,
der bei seiner
Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung "Die Leichtigkeit des Stahls"
(09.11.2003) treffend, auch in Bezug auf die Arbeiten von Karl
Menzen, sagte:
"Die Konkrete Kunst bejahe ich wegen ihrer Befreiung vom
"Imitationszwang", also dem Nachbilden oder der
Abstraktion der natürlichen, der bereits vorhandenen Welt, was
die Möglichkeit eigener Kreationen eröffnet, und ich bejahe sie
wegen ihres Prinzips, geometrische, also rein geistige Elemente
zum "Material" der konstruierten Werke zu wählen.
Andererseits hat mir mathematische und konstruktive Perfektion
nicht ausgereicht, einem Werk den Rang eines Kunstwerks
zuzugestehen. Hierfür sind meines Erachtens ästhetische
Qualitäten entscheidend, die ich mit den Attributen lebendig,
musikalisch oder poetisch bezeichnen möchte. Das lässt sich zwar
ermessen, aber nicht nachmessen."
Und so freue ich mich heute mit Ihnen, lieber Herr Phleps, dass
wir mit Karl Menzen einen Künstler zu Gast haben, dem es in
überzeugender Weise gelingt, die Ausgangsprinzipien der Konkreten
Kunst (geistige Elemente, Kreis, rechter Winkel), somit das Prinzip
der logischen Ordnung, nicht zu verlassen und dennoch mit mehr
Möglichkeiten zu erweitern. Ihre beim Symposium des "Forums
Konkrete Kunst" im Jahr 2001 in Erfurt geäußerte Sorge,
... dass die Konkrete Kunst von der Gefahr der
Erstarrung bedroht sei findet ihre Antwort in Ihrem
Appell: Sie (die Konkrete Kunst) muss aber die Freiheit
wagen, um zu leben und zu überleben.
Das künstlerische Werk von Karl Menzen verfügt über eine eigene,
unverwechselbare Formensprache im Rahmen der konkret-konstruktiven
Kunst. Diese kommt auch in seiner Installation "Cut" zum
Ausdruck, die auf ein Projekt aus dem Jahr 2016 zurückgeht.
Metallisch blank zeichnet er Lineamente. Jetzt ist es die Fläche,
die offene Räume schafft, die wie Linien wirken können. Leere Räume
zwischen den Linien zeichnen Linien in den Raum.
An den Werken von Karl Menzen überzeugt mich die Einfachheit und
Eleganz, die aus dem Zusammenspiel von Ruhe und Bewegung,
exzellenter Kenntnis des Materials und dienender Haltung sowie
großem Ideenreichtum des Künstlers erwächst. Ich bin sicher: So ist
es richtig – ehrlich und gut!
Meine Damen und Herren, nehmen sich die Zeit, die Skulpturen
unseres Gastes aus Berlin in ihrer Vielfalt zu entdecken und im
Gespräch mit dem Künstler Ihre Eindrücke zu vertiefen.
* Torsion steht für Sachverhalte, die mit einer
(Ver-)Drehung zusammenhängen; die Auswirkungen einer parallel zur
Grundfläche und tangential zur Seitenfläche eines Körpers wirkenden
Kraft ↩
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