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Ansprache von Dr. Antje Lechleiter
zur Eröffnung der Ausstellung von
Erwin Steller
Formenwelten
4 Werkgruppen
am 13. März 2016 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
unter dem Titel "Formenwelten" zeigt die Stiftung für
Konkrete Kunst Roland Phleps in Zusammenarbeit mit der Galerie
Linde Hollinger in Ladenburg heute und für die kommenden Wochen
einen Querschnitt durch vier große Werkgruppen von Erwin
Steller. Hier unten sehen wir die Serien
"Lissajous-Fragmente" sowie "Verschieben und
Drehen", auf der Empore sind weitere Lissajous Variationen
sowie die Werkreihen "Dantesk" und
"Histogramme" zu sehen. Diese Arbeit mit dem Titel
"Höllentor" ist das älteste Bild der Ausstellung und
datiert auf das Jahr 1990, die Mehrzahl der Werke entstand
innerhalb der vergangenen 10 Jahre.
Ich freue mich, den Künstler mit seiner Ehefrau begrüßen zu
dürfen und bedanke mich bei Frau Hollinger für die gute
Zusammenarbeit und ihre Bereitschaft, im Anschluss an meine Rede
auch einige persönliche Worte über den Künstler zu sprechen.
Mein Ziel ist es, Mathematik ästhetisch zu
visualisieren. Dazu verfremde, ja zerschlage ich die Mathematik,
um sie neu aufzubauen sagt der Physiker und
Mathematiker Erwin Steller über seine digitale Kunst. Mit
Computerprogrammcodes und Beschreibungssprachen für grafische
Formen und Effekte steht ihm hierfür ein grafisches
Beschreibungssystem zur Verfügung, das den Noten der Musik
vergleichbar ist. Faszinierender Weise ist aus dem Programmcode
auch das generative Prinzip, also die in den Bildern manifestierte
Ordnung, zu ersehen.
Dieser Gedanke war bereits Medienkunstwerken eingeschrieben, die
zu einer Zeit entstanden, als es noch gar keine Computer gab. So
gelten die Telefonbilder des ungarischen Künstlers Lazlo
Moholy-Nagy zu den frühesten Medienkunstwerken der
Kunstgeschichte. Sie entstanden in den 1920er Jahren und
Mohloly-Nagy beschrieb sein Verfahren damals folgendermaßen:
"1922 bestellte ich per Telefon bei einer
Schilderfabrik fünf Email-Bilder. Ich hatte die Farbtafel der
Firma vor mir und skizzierte die Bilder auf
Konstruktionspapier. Am andern Ende des Telefons hatte der
Vorarbeiter dasselbe karierte Papier vor sich liegen. Er zeichnete
die von mir diktierte Form anhand der korrekten Positionen
ein. (Es war wie ein Schachspiel per Post.)"
Als ich die Realisierung dieser Ausstellung in Angriff nahm, da
wussten ich zwar, dass Erwin Steller 1999 eine Einzelausstellung
innerhalb der von Peter Staechelin kuratierten Reihe "Aspekte
konstruktiver Kunst" im Freiburger E-Werk hatte, doch ich
ahnte nicht, wie eng sein Kontakt zu Freiburg wirklich ist. Für
mich war er der Bayer, der in Paris lebt. Dass der 1928 Geborene
aber in den 1960er Jahren am Freiburger Rotteck Gymnasium
Mathematik und Physik unterrichtete und dort Kollege von Staechelin
war, erfuhr ich erst im Laufe der weiteren Vorbereitung dieser
Ausstellung. Als Steller diese naturwissenschaftlichen Fächer in
Freiburg unterrichtete, da war er bereits schwer mit dem Virus
"Kunst" infiziert. Schon in den späten 1950er Jahren
hatte er eine kleine private Akademie in Paris besucht, die ihn mit
der "Ecole de Paris" in Kontakt gebracht
hatte. Diese - nicht fest organisierte - Gruppe um Jean
Dubuffet, Georges Mathieu und Pierre Soulanges widmete sich der
abstrakten Malerei. Ganz im Stile der Tachisten hatte Steller um
1958 damit begonnen, Ölfarben mit Sand, Schnüren und gefundene
Objekten zu vermischen und gestisch mit Pinsel und Spachtel
aufzutragen. Schon zu dieser Zeit bezog er also den Zufall in seine
Überlegungen ein.
Dass ein Mathematiker und Physiker dann schließlich zur digitalen
Kunst kommt ist nicht weiter ungewöhnlich, das zeigt sich auch an
den Biografien der Pioniere dieser Kunstrichtung, die übrigens in
den 1960er Jahren entstand. Zu dieser Zeit standen ja nur sehr
wenige Computer zur Verfügung und daher hatten nur
"Experten" aus den Bereichen der Mathematik und
Physik - beispielsweise an Universitäten - Zugang zu den
Rechnern und konnten sie auch programmieren. Als Steller in den
1970er Jahren an der Europäischen Schule in Varese tätig war,
machte er erste Erfahrungen mit einem - damals noch
raumfüllenden - Großrechner. Ab 1979 war er dann in der
Umgebung von Karlsruhe tätig und inzwischen waren auch Kleinrechner
auf dem Markt. Beraten von einem Studienfreund, der einen Lehrstuhl
für Großrechner inne hatte, kaufte er für die Schule für ca. 10.000
DM wegen der grafischen Möglichkeiten den Apple II. Jener verfügte
über nur (!) 64 Kilobyte RAM und die Universität stellte
die Programmiersprache UCSD-Pascal bereit. Stellers Kampf mit
Rechner und Programm endete mit einem Misserfolg, denn es
entstanden nur grausam pixelverzerrte Figuren. Erst als ihm die
Universität 1985 das neue und einfache Programm LOGO zur Verfügung
stellte, ging es mit der 1. Bildserie "Rhythmen" so
richtig los. Peter Staechelin sah diese ersten computergenerierten
Bilder und schlug Steller vor, an einer bereits geplanten
Ausstellung an der PH Freiburg (wo inzwischen Staechelin als
Professor tätig war) teilzunehmen. Diese Ausstellung fand im
Frühjahr 1986 unter dem Titel "Computerkunst" statt. Mit
dabei waren klingende Namen: Herbert W. Franke, Kammerer-Luka, Vera
Molnar und Torsten Ridell. Ab 1987 verfügte Steller dann über einen
Lehrauftrag für Computer und Kunst in Karlsruhe und es folgte die
gleichnamige Publikation. Zu dieser Zeit sprach man noch von
Computerkunst, seit den 1990er Jahren verwendet man eher den
Begriff Digitale Kunst.
Über Stellers tachistisches Frühwerk habe ich schon gesprochen,
daher stellt sich uns nun die Frage: Was bedeutete für Steller dann
wohl die künstlerische Arbeit mit dem Computer? Die Antwort liegt
auf der Hand: Mathematisches Denken ist die Grundlage seiner
bildnerischen Intention und der Computer öffnete ihm komplexere
Möglichkeiten bei der Entdeckung und Erforschung von künstlerischem
Neuland. Der Rechner liefert Varianten und erzeugt unerwartete
Lösungen - aber nur innerhalb dessen, was ihm als Programm
eingegeben wurde! Betrachte ich die ausgestellten Werke, dann kann
ich mich nur der Einschätzung von Peter Staechelin anschließen, der
1999 und anlässlich der Ausstellung im Freiburger E-Werk bemerkte,
dass bei Erwin Steller die allgemeine künstlerische Haltung, die
künstlerische Entscheidung im engeren Sinne und die
"computertechnischen" Aktivitäten nicht nur ineinander
greifen, sondern sogar kaum voneinander zu trennen und für das
Endergebnis in gleichem Maß entscheidend sind.
Die vier für die Ausstellung ausgewählten Werkgruppen zeigen,
dass Stellers Umgang mit dem Computer souverän, spielerisch und von
einer in alle Richtungen hin offenen Vorgangsweise geprägt ist: In
den "Lissajous-Fragmenten" arbeitet Steller mit
den - nach dem französischen Physiker Jules Antoine Lissajous
(1822-1880) benannten - Überlagerungskurven zweier zueinander
senkrecht stehender Schwingungen. Wie ich schon sagte, hatte
Steller mit dem Zufall bereits zu Beginn seiner künstlerischen
Tätigkeit gearbeitet und bei den Lissajous Fragmenten wird nun dem
Computer ein Teil der Kreativität überlassen, indem mit einem
eingebauten Pseudozufallsgenerator gearbeitet wird. Steller wählt
dann aus allen möglichen Varianten die aus, die ihm interessant
erscheinen und druckt sie aus. Sobald er unter jenen eine
Figuration für sein Bild ausgesucht hat, überträgt er sie ohne
korrigierende Eingriffe vorzunehmen auf die Leinwand. Arbeiten, die
aus dieser Verfahrensweise hervorgegangen sind finden Sie hier
drüben auf der linken Wand. Entscheidend ist die endgültige Gestalt
und damit der Ausdruck, die Botschaft, welche die Formen und Farben
vermitteln (Staechelin). Im Prinzip wäre es daher gar nicht so
wichtig zu erfahren, wie diese Bilder generiert wurden. Steller hat
jedoch seine Methode in beschreibenden Texten niedergelegt, die als
Saaltexte den jeweiligen Werkgruppen beigeordnet sind. Sie
modifizieren und schärfen unseren Blick und führen zu einem
tieferen Verständnis. Da Ihnen jene Informationen hier in der
Ausstellung zur Verfügung stehen, möchte ich jetzt auch nicht zu
viel über die Genese der einzelnen Werkgruppen sagen. In aller
Kürze nur folgendes: Der Zyklus "Dantesk" - und
dazu gehören die 9 Arbeiten oben an der Stirnwand -
leitet sich von den schon erwähnten
"Lissajous-Variationen" ab und ist - indem das
Gewirr von Linien hier um eine leere Mitte kreist -
gleichzeitig eine Interpretation des Motivs der Hölle in Dantes
"Göttlicher Komödie". Dort steigen ja Dante und Virgil
kreisend immer tiefer in den kegelförmigen Schlund der Hölle bis
zur Erdmitte hinab. Arbeiten aus der Werkgruppe
"Histogramme" finden Sie oben links. Grundlage für die
Werke bilden Säulen- oder Balkendiagramme, wie man sie zur
Veranschaulichung von großen Datenmengen verwendet. In
"Verschieben und Drehen" wird schließlich ein
Basiselement in mehreren Zeilen verschoben und dabei jedes Mal um
einen Winkel von 15, 45 oder 90 Grad gedreht und es entsteht
eine Progression, die von einer einfachen zu einer immer
komplexeren Struktur führt.
Sehr geehrte Damen und Herren, beim Betrachten der Werke von
Erwin Steller fallen mir ganz unterschiedliche Adjektive ein:
Einige wirken sehr geordnet, andere chaotisch, einige scheinen
spielerisch-leicht, andere ernst und schwer. Bei fast allen hat man
jedoch den Eindruck, als handle es sich um Ausschnitte aus einem
größeren Ganzen. Linien öffnen sich zu ihren Rändern hin, ergreifen
den Raum, in dem sie sich befinden und verströmen Energie.
Nach einem weiteren Interludium von Gerwald Maximilian Braisch
wird Frau Linde Hollinger zu Ihnen sprechen, die seit vielen Jahren
eng mit dem Ehepaar Steller befreundet ist und in Ihrer Galerie in
Ladenburg zahlreiche Ausstellungen mit Werken des Künstlers
organisiert hat.
Das war es von meiner Seite, ich wünsche Ihnen nun viel Freude
bei der Begegnung mit den Arbeiten von Erwin Steller und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Erwin Steller: Formenwelten
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Ansprache bei der Vernissage
Dantesk
Bilder der Ausstellung
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