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Ansprache von Roland Phleps zur Eröffnung
der Ausstellung von
Christian Lapie
"La permanence des ombres -
Immerwährende Schatten"
am 16. September 2012 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Chère Madame Lapie, chèr Christian,
nous sommes très heureux de vous souhaiter la bienvenue
à Freiburg et d'inaugurer cette exposition, cette
installation exceptionelle de vos œuvres.
Meine Damen und Herren,
meine Ansprache werde ich mit Rücksicht auf Verständlichkeit und
mein mangelhaftes Französisch auf Deutsch fortsetzen.
Ich habe bei allen früheren Vernissagen zuerst den Künstler
vorgestellt und dann sein Werk besprochen, - heute mache ich es
anders und beginne damit, Ihnen etwas zu berichten.
Im Frühjahr 2001 hat mich ein Freund gefragt, ob ich die
Skulpturen im "Sulzburger Feld" gesehen hätte, das sei
nur noch kurze Zeit möglich, weil die Holzskulpturen auf Wunsch des
Künstlers verbrannt werden sollten.
Es gehe um eine Installation zum Gedenken an die 1941 aus Sulzburg
nach Gurs in Südfrankreich deportierten und später in Auschwitz
ermordeten Juden.
Meine Frau und ich fuhren nach Sulzburg und fanden an einem
trüben Vorfrühlingstag die am Hang sanft ansteigende Wiese mit
kahlen Apfelbäumen und etwa fünfzig geschwärzten Holzskulpturen,
menschengestaltig, aber auf ungegliederten Rumpf und den Kopf
reduziert, manche bis zwei Meter hoch aufragend, andere nur mit
Schulterpartie und Kopf über dem Grasboden, gleichsam im Vergessen
versinkend und in die Erinnerung aufsteigend. Wir waren tief
betroffen und bewegt und davon überzeugt, dass der Künstler dem
unfassbaren Geschehen, das sprachlos macht, einen wortlosen
Ausdruck hat geben können. Der Name des Künstlers: Christian Lapie
aus der Champagne.
Beim Besuch der ART Karlsruhe vor drei Jahren zusammen mit der
Kuratorin unserer Stiftung, Frau Dr. Rönn-Kollmann, fand ich mich
unvermittelt einer wohl sechs Meter hohen, anthropomorphen
schwarzen Holzskulptur konfrontiert, unverkennbar ein Werk von
Lapie, den ich dann in der Halle drei am Stand eines Straßburger
Galeristen antraf, der eine größere Anzahl seiner eindrucksvollen
Skulpturen ausstellte. Wir kamen gleich über das "Sulzburger
Feld" ins Gespräch und anhand eines schönen Bildbandes, den er
mir schenkte, bekam ich einen Eindruck von der globalen
künstlerischen Aktivität von Christian Lapie. Es folgten Besuche in
Freiburg und unsere Einladung an den Künstler, bei uns in Freiburg
auszustellen.
Jetzt ist es an der Zeit, uns der Biografie von Christian Lapie
zuzuwenden. Er ist in der Champagne, in einem Dorf in der Nähe von
Reims 1955 zur Welt gekommen. Schon früh war er entschlossen,
Künstler zu werden und etwas Neues zu schaffen, ohne jedoch
konkrete Pläne zu haben. Er hat 1972 bis 1977 an der staatlichen
Kunstschule von Reims studiert, danach 1977 bis 1979 an der
staatlichen Kunsthochschule Paris (École Nationale
Supérieure des Beaux Arts de Paris).
Er arbeitete zuerst als Maler mit Kreiden, Oxyden und Aschen auf
groben Planen, die auf rudimentäre Rahmen montiert waren; als
Materialien kamen Bleche, Zement, gekalktes Holz und Eisenbeton
hinzu. In einer Krise wandte er sich 1995 von dieser brutalen Kunst
ab und nach einem Arbeitsaufenthalt in der großen Natur des
Amazonas-Urwalds ging er direkt zur Gestaltung von monumentalen
Holzskulpturen über. Er schuf Gestalten aus grob gesägten und
behauenen Stämmen, die er teils kalkte, meistens aber mit Kreosot,
einem Teeröl, schwärzte. Diese entstanden erst in seiner Heimat,
der Champagne, jenem Landstrich blutiger Schlachten im ersten
Weltkrieg.
Es folgten dann auf die Landschaft und ihre Geschichte bezogene
Skulpturen in Japan, an vielen Orten Frankreichs, in Kanada und in
der Schweiz, in Belgien und den USA. In Jaipur/Indien stehen seine
aus farbigem Sandstein und Marmor gehauenen Gestalten. Alle diese
Skulpturen werden in einen bewussten, sorgfältig ausgewählten Bezug
zu ihrer Umgebung gestellt.
Außer diesen Skulpturen hat Christian Lapie auch Bronzen im
Wachs-Ausschmelz-Verfahren ("Verlorene Form") sowie
Eisengüsse geschaffen, die in ihrer Struktur eng an das Material
Holz angelehnt sind. In seinen großformatigen Bildern schwarzer
Gestalten auf hellem Grund, mit aufbereitetem Teer gemalt, ist der
Bezug zu seinen Holzskulpturen offenkundig. - Der Erfolg, den er
weltweit hat, führt ihn an die Grenzen der möglichen
Arbeitsleistung und in einen Widerstreit zwischen dem Bereich des
Kreativen und dem der Logistik bei Präsentation und Installation
seiner Werke.
Wir sollten, nach diesen Informationen zur Biografie, versuchen,
uns dem Wesen der Kunst von Christian Lapie zu nähern, nach
Antwort auf die Fragen suchen, was seine Gestalten bedeuten oder
ausdrücken, was der Künstler beabsichtigt und welche Rolle er dem
Betrachter bemisst.
Diese Fragen sind nicht ohne weiteres zu beantworten. Ich zitiere
die Reaktion eines Afrikaners angesichts der großen Skulpturen in
Ngaundere/Kamerun:
"Ihre Gegenwart ist vom Alltäglichen abgeschnitten,
das ist in Ordnung. Man nimmt sie wahr als etwas Wertvolles, aber
niemand weiß, was sie darstellen. Wenn man Sie, den Künstler,
bittet, uns zu erklären, was Sie haben machen wollen, kehren Sie
die Frage um und fragen uns, was wir sehen. Und Sie gehen fort und
lassen uns mit all den Fragen zurück."
Um zu einer Antwort zu finden, müssen wir die Verwurzelung des
Künstlers in seiner Heimat als nachhaltig prägendes Element
begreifen. Er liebt die Champagne, in der er aufgewachsen ist, ein
sanftes, liebliches Land mit Weinbergen und Wiesen, das von den
Ardennen über Hügel in die Ebene hinabsteigt. Zugleich ist es ein
Land, das die blutigen Schrecken von 1914 bis 1918 durchlitten hat,
aufgerissen von Millionen von Granaten, deren Reste heute noch beim
Ackern ans Licht kommen.
Ich zitiere den Kritiker Philippe Pignet:
"Ein Land, in Feuer und Blut getaucht durch den
mörderischen Wahnsinn der Menschen, ihren Durst nach Macht und
Herrschaft. In diesem Land geboren werden, heißt, aus diesem Land
heraus geboren werden, heißt, sein Gedächtnis zu tragen."
Als Künstler hat Christian Lapie anfangs versucht, mit Bildwerken
wie Altären oder Tempeln Gedächtnis zu stiften, ehe er in der
archetypischen Menschengestalt den gemäßen Ausdruck fand, in einem
Bildwerk, das in seinen Ausmaßen und seiner reduktiven Verdichtung
ins Übermenschliche reicht.
Sein Werk spricht in einer Sprache, die wir nie gelernt haben,
die wir aber sprechen können, der Sprache des magischen Weltbildes,
in der die Menschheit in vielen Tausenden von Jahren gedacht und
sich ausgedrückt hat. Sigmund Freud nennt den Gebrauch und das
Verständnis dieser Sprache in Traumbildern so erstaunlich, wie wenn
seine böhmische Köchin Sanskrit spräche und verstünde. - Dagegen
gleicht die Sprache der Ratio nur einer dünnen Schicht von wenigen
Jahrhunderten über einem mächtigen Block, dessen vergessene Präsenz
uns Heutigen nur in Extremsituationen bewusst wird.
Der steinzeitliche Mensch der Megalithkultur hat in einem Raum,
der vom Mittelmeer über die Bretagne bis zu den Britischen Inseln
und Skandinavien reichte, Menhire aufgerichtet, Langsteine, die
wahrscheinlich seine Ahnen verkörperten und zu denen er in
magischem Bezug stand. Die Reihen der gewaltigen Menhire von Carnac
in der Bretagne und die Alignements, die gereihten, aufgerichtete
Steine auf Korsika, tauchen in meiner Erinnerung auf, wenn ich die
Gestalten von Christian Lapie in der Landschaft sehe. Diese stehen
einzeln, meist aber in Gruppen in Zwiesprache mit einem Umfeld, auf
das sie bezogen sind, sei es, dass dieses durch urbane Architektur
geprägt ist oder durch eine Landschaft mit ihrem jeweiligen
Charakter. So erfassen und steigern sie den "genius
loci".
Sie stehen da wie Wächter oder wie Zeugen einer fremd gewordenen
Vergangenheit. Von den Rezensenten des Werkes von Christian Lapie
werden sie als "Erscheinungen" (phénomènes)
bezeichnet, als Geister oder Gespenster (spectres), als Giganten
(géants) oder Titanen, vom Künstler selbst als Schatten
(ombres). Das wären dann die überlang fallenden Schatten derer, die
vor uns gelebt haben und verstorben sind, Schatten, die aus der
Erinnerung aufgestiegen sind, vielleicht aus einem kollektiven
Gedächtnis.
In ihrer Materialität, ihrer Schwärze, ihrer aufragenden Größe
und Schwere sind sie aber keine leichten und flüchtigen Schatten.
Sie sind vielmehr übermächtige, zu großer Kraft verdichtete,
übermenschliche Wesen. Wir können sie eher erleben, als
verstehen. Unser eigenes magisches Weltbild lebt ja in der Tiefe
unter der Ratio weiter. So können wir die schwarzen Gestalten als
bedrohlich erleben oder als Beschützer, sie können Angst machen
oder Wegweiser sein, Heil und Kraft gewähren. Den Schwarzafrikanern
in Kamerun ist diese Erlebens- und Denkweise aufgrund ihrer
Herkunft im Vergleich zu uns Europäern viel näher. Das spricht sich
in ihren verbalen Reaktionen aus:
Zitate:
"Die verwirrende Aura, die diese Gestalten umgibt,
berührt uns Afrikaner an unseren tiefsten Wurzeln, über die
Religion hinaus, sei sie christlich oder
muslimisch."
"Es ist seltsam, dass ein Weißer so etwas in Afrika
aufstellt. Es sind doch die Afrikaner, die so etwas machen, im
Westen von Kamerun."
"Wir Abkömmlinge von Stammesgesellschaften sind
erzogen worden im Vergessen der Riten und Fundamente unserer
Ahnen. Sie (der Künstler) haben die heiligen Orte rehabilitiert, in
die verlorene Ehre wieder eingesetzt."
"Die Arbeiten, die Sie gemacht haben, Sie werden es
sehen, werden niemals von jemandem berührt werden, denn sie gehören
in den Bereich des Heiligen."
Das war ein Irrtum, denn die "Idole" in Ngaundere
wurden von islamischen Fundamentalisten verbrannt, mit brennenden
Autoreifen vernichtet wie bei einer Hinrichtung.
Meine Damen und Herren, Sie sind der Einladung gefolgt, zur
Eröffnung einer Ausstellung von Skulpturen in der Halle einer
Stiftung für Konkrete Kunst.
Ich hoffe, dass Sie sich nicht getäuscht fühlen, denn mit
Konkreter Kunst hat das, was hier sehen, nichts zu tun. Und auch
eine Ausstellung im engeren Sinn ist das nicht: Christian Lapie
wollte zwar erst nur drei Skulpturen in die Halle stellen,
überzeugte mich aber nach seinem Besuch, dass er, bezogen auf
diesen Raum, versammelt und gedrängt, ein Ensemble von sieben
Skulpturen und den Bildern an den Wänden präsentieren wolle als
eine Installation, die als Ganzes den Besucher fordern soll, nicht
einen Gast als Betrachter von Objekten, sondern einen, der sich als
Person der Begegnung mit Wesen konfrontiert und ausgesetzt sieht,
die ihn überwältigen können. Das ist hier und heute eine andere
Situation als sonst bei Vernissagen. Ich hoffe, dass Sie
aufgeschlossen sind und nicht entfliehen. Dann wäre das Wagnis
gerechtfertigt.
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Christian Lapie:
"La permanence des ombres - Immerwährende Schatten"
Einladung
Wegbeschreibung
Ansprache bei der Vernissage
"La permanence des ombres"
Bilder der Ausstellung
Pressebericht:
Gigantische Mahner
Badische Zeitung, 28.09.2012
Kurzbiographie

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