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STIFTUNG FÜR KONKRETE KUNST ROLAND PHLEPS
FREIBURG-ZÄHRINGEN, POCHGASSE 73
 
 

 

Ansprache von Roland Phleps zur Eröffnung der Ausstellung von

Dieter Oehm
"Erkennbar aus Einem"

am 19. September 2010 in der Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps in Freiburg

 

Liebe Freunde unserer Stiftung,
meine Damen und Herren,

es freut mich sehr, dass Sie zur Eröffnung der Ausstellung mit Werken von Dieter Oehm gekommen sind, den ich zusammen mit seiner Frau herzlich begrüße und dem ich das lebhafte Echo eines zahlreichen interessierten Publikums jetzt und in den kommenden Wochen wünsche.

Im Jahr 2001 hat Frau Kemmerich-Lortzing in ihrem Freiburger Skulpturenkabinett eine Auswahl von kleinen Holzskulpturen des Künstlers gezeigt, die er Raumelemente nannte und die mich sehr angesprochen haben. Ein damals erworbener Bildkatalog ist mir nach längerer Zeit wieder in die Hände gekommen, worauf ich Kontakt mit Dieter Oehm aufnahm und ihn zwecks Vorbereitung dieser Ausstellung in seinem Atelier in Blaufelden im Hohenlohischen aufsuchte. Ich war von den dort stehenden großen Holz- und Steinskulpturen beeindruckt und traf mit dem Künstler eine Vorauswahl der Exponate, die Sie heute hier sehen.

Bevor ich auf die Werke und Intentionen von Dieter Oehm eingehe, möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, seine Vita kurz vorstellen. Dieter Oehm ist 1947 in Bad Hersfeld im Hessischen geboren. Er hat mit 21 Jahren 1968/69 die Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main besucht und 1969/74 an der Städelschule/Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main studiert, wo er Meisterschüler von Michael Croissant war. Er erhielt 1969 den Preis für Druckgrafik der Städelschule und 1973 den Arno-Leißer-Preis. 1974/76 studierte er an der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt und schloss das Studium als Diplom-Pädagoge ab. Seit 1976 hat er ein Lehramt für Plastisches Gestalten und Zeichnen an der Staatlichen Zeichenakademie in Hanau inne und seit 1987 eine Gastdozentur an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

Seit 1992 verfolgt er das Projekt "Skulptur und Landschaft" in Hohenlohe. Er lebt und arbeitet in Bad Vilbel/Hessen und Blaufelden/Hohenlohe. Hinsichtlich seiner zahlreichen Ausstellungen und seiner Arbeiten im Öffentlichen Raum verweise ich auf den ausgedruckten Überblick an der Wand im Eingangsbereich der Halle und oben auf der Galerie.

Ich wende mich jetzt dem Werk des Künstlers und seinen Intentionen zu. Von der ersten Begegnung mit seinen Skulpturen an hat mich sein gekonnter Umgang mit den Volumina seiner Werke überzeugt, das Zusammenspiel von Masse und Leerraum, von Blöcken aus Holz, Stein oder Bronze und dem von den Blöcken umschlossenen und dem die Blöcke umschließenden Raum.

Dieses gestalterische Prinzip steht in der Nachfolge von Archipenko, der die menschliche Gestalt in seinen Skulpturen aufgebrochen hat, so dass der Blick durch Spalte und Höhlungen hindurch geht. Ich erinnere an seine "Zerstörte Stadt" in Rotterdam. Dieter Oehm geht von einem in sich geschlossenen Körper aus, vom Baumstamm, vom Steinblock, der er öffnet, aus dem er die Gestalt seiner Invention hervortreten und als Skulptur in den Außenraum eintreten lässt.

Michelangelo hat aus dem von Ammanati verhauenen riesigen Marmorblock die Gestalt seines David herausgeholt, befreit. Seine räumliche Vorstellung war so präzis, dass er gleichzeitig hier die Schulter, dort den Fußknöchel aus dem Block hervortreten lassen konnte. - Dieter Oehms nicht figurativen Werke entstehen gemäß seiner gestalterischen Vorstellung, doch kann sich diese im Verlauf der Arbeit den vorgefundenen Gegebenheiten des Materials anpassen, ohne das Gesamtkonzept zu verlassen.

Das Spiel mit Masse und Leere erfordert einerseits eine ausgewogene Gewichtung der Volumina, ermöglicht es andererseits, den Skulpturen Leichtigkeit und Bewegtheit zu geben. Wären die Skulpturen aus Einzelteilen zusammengesetzt, entstände der Eindruck von etwas Gebautem, deshalb Statischem. Da der Künstler die Gesamtgestalt aber aus Einem skulptiert, haben wir den Eindruck von etwas Gewachsenem, lebendig Zusammenhängendem. Dabei kann der Eindruck des Erdgebundenen vorherrschen oder der Eindruck eines befreiten Strebens in die Höhe in Gestalt seiner offenen Stelen.

Wir werden als Raumelemente bei Dieter Oehm immer wieder den quer oder hochgestellten Quader sehen mit annähernd rechten Winkeln, aber auch Kippungen aus der Vertikalen und instabil, fragil wirkende Elemente, nur selten Rundungen.
Die Übersetzung seiner aus dem vollen Holz oder Stein herausgeschlagenen, durch Reduktion, durch Wegnehmen gebildeten Skulpturen in Bronzeplastiken überzeugt zwar als Gestalt, verbirgt aber den ursprünglichen Fertigungsgang.

Der zweite, gleichzeitig mit den dreidimensionalen Gestaltungen beschrittene Weg des künstlerischen Ausdrucks von Dieter Oehm ist die zweidimensionale Zeichnung. Sie gibt ihm leichtere und raschere Möglichkeiten, seine konstruktiven Ideen zu äußern; sie stehen den Skulpturen aber gleichrangig zur Seite, sie sind nicht nur Skizzen oder Entwürfe. Die Zeichnungen sind freier als die Skulpturen, sie gehen über die Begrenztheit des behauenen Materials hinaus und nehmen, mit Bleistift und Farbstiften, auch die Möglichkeiten der farbigen Linie wahr. Oehm sieht die Verwandtheit seiner Zeichnungen mit der Musik als etwas Verschwindendem und Wiederkehrendem, das Klangräume schafft, während die Skulptur ein "schweigendes Innehalten" sei.

Liebe Gäste, ich bin am Ende meiner erläuternden Ausführungen. Ich bin seit jeher der Meinung, dass das Kunstwerk selbst zum Betrachter sprechen soll und dass sich in den Dialog zwischen Kunstwerk und Kunstfreund die Stimme eines Dritten nur zurückhaltend einmischen sollte. "Bilde Künstler, rede nicht!" hat Goethe gesagt, und ich möchte ergänzen, dass alles Gesagte einfach sein soll.

Nach der Führung durch eine meiner Ausstellungen kam eine Besucherin auf mich zu und berichtete, was ihr zwölfjähriges Töchterchen eben gesagt hatte:

"Mama, war das der Künstler?"
"Ja, der Herr Phleps."
"Das glaub ich dir nicht!"
"Ja, warum denn nicht?"
"Weil ich alles verstanden hab, was er gesagt hat!"

Unser Gast, Dieter Oehm, wird Ihnen, meine Damen und Herren, gern auf Fragen antworten und sich auf ein Gespräch freuen. Zuvor aber hören wir Nicola Miorada mit einem Stück für Klarinette solo von Igor Strawinsky.

Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen viel Freude beim Rundgang durch die Ausstellung! Sie werden Gelegenheit finden zum Gespräch mit Dieter Oehm.