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Ansprache von Stefan Tolksdorf
am 22. März 2009 zur Vernissage der
Gedenk-Ausstellung
anlässlich des 70. Geburtstags von
Hans-Günther Van Look †
in der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Im Horizont der Freiheit
Gedanken zum Werk Hans-Günther Van Looks
Zum 70. Geburtstag
"Kunst ist kein Beruf. Kunst ist Schicksal. Kunst ist
Liebe", schrieb 1917 der Lyriker Ivan Goll, dessen Frau, die
Dichterin Claire Goll, ein häufiger Gast im Hause Van Look
gewesen war. Erlauben Sie mir, bevor ich diesen Satz am Werk Hans
Günter Van Looks expliziere, noch einige allgemeine Worte zur
Kunst der Moderne.
Zwei Stränge ziehen sich vom Beginn der Moderne - die ich
schon früh, in der Romantik ansetze - bis in die Kunst unserer
Tage.
Der eine beschreibt die forcierte Zuwendung zur materiellen Welt,
die Beschreibung bekannter, bislang bildunwürdiger Motive und
Phänomene aus ungewohnter Perspektive, mit neuen Blickakzenten: ein
simpler Heuschober etwa, gemalt im tageszeitlichen Wechsel des
entmaterialisierenden Lichts.
Die soziale Wirklichkeit, im krassen Verismus etwa eines Otto
Dix. Die Farbe erscheint in ihrer puren Materialität, im
mathematisch austarierten Wechselspiel oder als expressiver
Selbstausdruck des Künstlers, der die Welt förmlich in sich
zieht. Schließlich die Feier und kreative Transformation
unserer Konsumwelt in der Popart. Mitunter konnte diese Hingabe an
die Materie zu dem führen, was Max Weber
"Weltverfallenheit" nannte und sich etwa im Manifest der
Futuristen und in der Kunst totalitärer Regime als Feier des
historischen Fortschritts oder plane Technikbegeisterung
manifestiert, mit dem korrespondierend, was Martin Heidegger
"Seinsvergessenheit" nennt.
Denken Sie - absurder Höhepunkt dieses Materialismus - an
den Brillianten-besetzten Totenschädel, der den Kunstmarkt
persiflierend, genussvoll von ihm geschluckt wurde.
Doch gibt es auch jenen anderen Strang der Moderne, der über
Caspar David Friedrichs Mönch am Meer, das Werk von Kandinsky, Klee
und Mondrian zu den Farblicht-Epiphanien eines Mark Rothko führt
und darüber hinaus. Eine Kunst, deren Exponenten den Anspruch
formulieren, geistige Essenzen erfahrbar zu machen.
Natürlich ist eine jede Kunst eminent geistige Arbeit.
Gemeint aber ist der Versuch, in der Materialität des Bildes eine
angenommene transzendente Seinsebene durchscheinen zu
lassen, - wie Jean Gebser sagt - es "für eine den
Menschen überwölbende Sphäre diaphan zu machen".
In diese - ich nenne sie romantische Traditionslinie gehört
zweifellos das Werk Hans Günther Van Looks, dessen
70. Geburtstag wir mit dieser repräsentativen Ausstellung
begehen.
Romantisch war seine Ausrichtung am Horizont, die immer auch die
Möglichkeit der prinzipiellen Überschreitung in sich trug,
romantisch seine Vorliebe für das tiefe Blau, die Farbe der
Geistigkeit und des spirituellen Sehnens, urromantisch auch sein
Bestreben Kunst und Wissenschaft, Natur- und Geisteswissenschaften
zusammen zu denken, zusammen zu führen.
Wenn er sich dabei der bisweilen verstiegen klingenden Sprache der
Phänomenologie bediente, war damit für manchen das Bild des
Unzeitgemäßen komplettiert.
Dabei hatte Hans Günther Van Look ganz sicher eines nie im
Sinn gehabt: Den Zeitgeist zu bedienen. Im Gegenteil. Es war sein
erklärtes Anliegen, mit seiner Kunst gegenzusteuern, einen
Kontrapunkt zu setzten zur Schnelllebigkeit einer wie er fand
"seinsvergessenen" Gegenwart.
Dies geschah im Horizont einer Freiheit, die immer die des -
mitunter befremdlich idealistisch wirkenden - Querdenkers
war. Die Wurzeln seines bildnerischen Denkens aber lagen im
christlichen Humanismus eines Reinhold Schneider, der ihm ein
väterlicher Mentor gewesen war - "Pymi, Du musst Maler
werden!" hat er dem Jungen früh geraten -, in der
Philosophie Edmund Husserls, in dessen früherer Wohnung er mit
seiner Familie lebte, und im Seins-Denken Martin Heideggers,
dessen Spätwerk, wie er sagte, ihn im Herz berührte.
In seiner Malerei blieb Van Look im Wesentlichen dem
Informell treu.
Selbst als viele seines Alters sich ans figürliche Ufer retteten,
blieb er abstrakt, aus demselben Grund, der die Maler des Blauen
Reiter in die Abstraktion geführt hatte: Um den Aspekt des
Geistigen in der Kunst anschaulicher zu machen.
Dabei hielt er in seinen Farbvisionen an der klassischen
Aufteilung des europäischen Landschaftsbildes in Vorder-, Mittel
und Hintergrund fest, fügte ihm aber noch zwei weitere Ebenen
hinzu, welche die klassische Raumgestalt als Stufenleiter zur
Transzendenz erscheinen lassen: Raum und Kosmos.
Die beiden oberen Streifen, mit denen sein Malakt nicht zufällig
begann - er arbeitete sich vom Kosmos gleichsam der Erde
entgegen - bezeichnen natürlich keine astronomischen Begriffe,
sondern "das implizite Versprechen einer zumindest
andeutungsweise gewährten Offenbarung des im buchstäblichen wie im
übertragenen Sinn Jenseitigen" (Hans Dieter Fronz). Das die
Malerei dominierende Blau ist Bildzeichen einer ins Utopische
reichenden, ja das Eschatologische streifenden Hoffnung.
Hans Günther Van Look war ein gläubiger Mensch. Und er
glaubte - auch dies eine Seltenheit in postmodernen
Zeiten, - an die unmittelbare Wirkmacht der Kunst, an die
ästhetische Verwandlungskraft zum Guten. Bei aller Epochen-Skepsis
und zuweilen tiefer Melancholie: Was sein Werk grundierte und ihm
auch in dunklen Zeiten Auftrieb gab, war gelebte Daseinsfreude,
war geteilte Liebe, Glaube und tiefe Sehnsucht nach einem
wesentlich vertieften Sein.
Immer wieder suchte er die Öffentlichkeit, den geistigen
Austausch, träumte von einer Phalanx der Gleichgesinnten, ja
Hochgestimmten.
Der kontemplative Maler war auch ein engagierter Zeitgenosse, der
sich einmischte ins kulturelle und politische Leben unserer Stadt,
immer bereit, mit zu gestalten.
Er gründete die Reinhold Schneider-Gesellschaft, initiierte die
Vortragsreihe "Freiburger Dialoge" und war einer der
Hauptstreiter für das Projekt "E-Werk. Hallen für
Kunst".
Als Mensch und Künstler blieb er - bei aller sozialen
Einbindung und Stilsicherheit - ein ewig Suchender, Sehnender,
ja Einsamer.
Für den philosophierenden Maler und Farbmystiker Van Look
gab es keine inspirierendere Metapher, als die des Horizonts.
Nichtort par excellence, Sinnbild für das Unerreichbare ebenso wie
für die scheinbare Unendlichkeit des Zeitflusses, für die
Bedingtheit unserer Erfahrung. Denn der Horizont ist ein
Wahrnehmungsphänomen. Es gibt kein Davor, kein Dahinter.
Und doch hat kaum etwas anderes den menschlichen
Überschreitungsdrang derart herausgefordert.
Für Hans-Günter Van Look war der Horizont eine entscheidende
Koordinate - in der Malerei wie im Leben.
In zwei Richtungen ging sein Blick: Gen Westen, an den Kamm der
Vogesen, vom Hausberg seiner Heimatstadt Freiburg. Nach Süden, aufs
Meer vorm spanischen Cadaqués, seinem Sommerrefugium, seiner
Eremitage, wo er Salvador Dali kennen gelernt hatte, der ihm eine
große Zukunft prophezeite.
Was er Horizont nannte, die Grenze seiner Weitsicht, war für den
Maler Van Look immer wieder das Erlebnis des wachsenden
Lichts.
Seines Einbrechens in die kosmische Nacht.
Seine künstlerische Arbeit verstand er als Interpretation eben
dieses Lichts. Durch die Staffelung seiner vielschichtigen
Farbfelder - übereinander liegender Raumschichten und
Lichtquanten wollte er eine Ahnung vermitteln von der Unendlichkeit
des Kosmos, der für ihn vor allem spirituelle Potenz war. Raum wird
dabei nicht abgebildet, sondern im Malakt erst erzeugt. Farbmaterie
bricht auf, Lichtung öffnet sich. Eine Räumlichkeit, die keine
konkrete Anschauung spiegelt, sondern primär geistige
Erfahrung - Lebensraum im tiefsten Wortsinn. Kontemplativer
Raum durchaus im Sinne Friedrich Schleiermachers, jenes auch
politisch engagierten frühromantischen Impulsgebers, der in seiner
Abhandlung über das Wesen der Religion schrieb:
"Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder
den rechten Ursprung noch die rechte Kraft haben, Gefühl ohne
Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas,
wenn und weil sie ursprünglich eins und ungetrennt sind. ... Praxis
ist Kunst, Spekulation ist Wissenschaft, Religion ist Sinn fürs
Unendliche."
Sehnsucht und Sinn fürs Unendliche - das besaß der Künstler
van Look in hohem Maße.
Nie durften sich seine nuancierten Horizontal- Strukturen zu
kompakten Farbquadern materialisieren. Mit breiten Pinselhieben
durchbricht, konterkariert er mitunter seine strengen
Staffelungen, spontane Impulse setzend. Was er anstrebte, war eine
spannungsvolle Balance von Bewegung und Ruhe, Spontaneität und
Kalkül.
Metaphysische Sehnsucht - Entgrenzungssehnsucht - und
kreative Unruhe - sie bestimmen van Looks malerisches Denken.
Ereignishaft wirken manche seiner Bilder, - wie ich finde:
Seine besten, - doch verdanken auch sie sich teils
monatelanger Planung. Der Eindruck des Spontanen entsteht weniger
durch die gestische Akzentuierung, als durch die vehemente
Lichtkraft der Farbwerte.
So wundert es nicht, dass gerade die Reise nach Ägypten, wo die
Verehrung der Sonne erstmals in eine komplexe Theologie mündete,
eine Akzentverschiebung brachte.
Seit den späten neunziger Jahren werden Van Looks
Lichthorizonte nicht mehr nur durch einzelne Pinselhiebe- oder
Strichbündel konterkariert, sondern durch einen massiven vertikalen
Widerpart. Am Tempel von Karnak hatte er gesehen, wie die
flankierenden Eingangstürme, die sogenannten Pylone, sich als
schwarze Schemen gegen das Mittagslicht stemmen, wie die Strahlen
der untergehenden Sonne sich an ihren Sandsteinkuben brechen, wie
das durch die Lücken zwischen den Riesenpfeilern brechende Licht
den Stein gleichsam entmaterialisiert.
Die horizontalen Landschaftsordnung seiner Bilder erweitert er
fortan durch dass Spannungsmoment pastoser schwarzer Balken.
Dabei ist das Schwarz für ihn nicht eigentlich Materie, sondern,
wie er immer wieder betonte: die "Farbe des dunkelsten
Lichts". "Pylon" - das Wort im Bildtitel
meint weniger den architektonischen Befund, als das Ereignis der
Lichtbrechung, des Lichtimpulses.
Van Looks Farblandschaften wechseln nun ins Hochformat.
Verstärkt wird dadurch die dynamische Korrespondenz zwischen
Horizontale und Vertikale, Himmel und Erde:
"Horizont-Pylon" - die neue Bezeichnung.
Der Pylon galt den alten Ägyptern wie Obelisk und Pyramide für
das Abbild jenes mythischen Urhügels, auf dem alles Leben begann.
Ein Ort der Verbindung von Erde und Himmel, wie jener Berg, der
dem Maler in seinen letzten Jahren ebenso in Bann schlug, wie lange
vor ihm den als Lichtmaler von ihm neu entdeckten Paul
Cézanne: Der Monte Saint Victoire.
Auf der Galerie sind überraschend zarte Aquarelle zu sehen -
poetische Anverwandlungen und Hommagen an die Bildwelt des Großen,
sowie jene späten Bilder, auf denen Van Look seine
Lichthorizonte mit der Vision jener heiligen "Montaigne"
krönt.
Hinter Edith Stein auf dem Fenster im Freiburger Münster figuriert
sie als Berg Kamel.
Seine letzte Reise in die Provence war für den Maler ein
Glücksmoment.
Schwärmerisch war sein Bericht von der im Abendlicht
"verglühenden Felswand, der "spirituellen Dimension der
Landschaft".
Zu gern hätte er mich dorthin geführt, mir zu Füßen des Berges aus
seinem von solchen Sicht-Erlebnissen inspirierten
Cézanne-Buch vorgelesen, das im vergangenen Herbst im Verlag
Freiburger Alber-Verlag erschienen ist.
Hans Günter Van Look konnte dies leider nicht mehr erleben.
Doch wurden ihm gerade in seinen letzten Monaten die erhofften
großen öffentlichen Aufträge zuteil. In rascher Folge entstanden
der monumentale Lichthorizont in ICE-Bahnhof Siegburg, der
Bühnenvorhang für das dortige Theater und schließlich, nach seinem
Edith-Stein-Fenster im Chorumgang des Freiburger Münsters, eine
weitere Fensterwand, auf der er den Frauen huldigt - heiligen
Frauen und den nahezu unbekannten Frauen der Heiligen.
Das südliche Radfenster im Freiburger Münster.
In seinen Glasfenstern betritt Van Look erstmals wieder
figuratives Terrain, verbindet er die menschliche Figur mit seiner
abstrakten Vision des vertikal-horizontalen Lichteinbruchs -
in Gestalt prismatischer Formen, die auch sein plastisches Werk
bestimmen.
Hier aber erscheint die Frau als Lichtbringerin:
Eine uralte mythische Figur.
Diese eine aber wollte er zerbrechen, weil sie seiner Idealgestalt
nicht nahe genug kam. Doch gerade die von seiner Gattin gerettete
frühe Skulptur zeigt, worauf es ihm ankam:
Das Aufbrechen der materiellen Oberfläche, gerade nicht im Sinne
anatomischer Segmentierung, sondern einer geistigen Tiefenschau,
das Aufbrechen des Menschen für eine tiefere Seins-Erfahrung, die
immer auch mit Erlösungshoffnung verbunden ist.
Diesem Anspruch setzte die Materialität des Steins derartigen
Widerstand entgegen, dass er als plastischen Werkstoff dem
transparenten Glas oder der reflektierenden Bronze den Vorzug gab.
Die Skulpturen aus Maggia-Granit, die Sie auf der Galerie sehen,
verstand er weniger als vollplastische Raumkunstwerke, denn als
reliefhafte Fortsetzung seiner gemalten Lichthorizonte, als
"Lichtwände" und Lichtkämme. Der am oberen Rand gekerbte,
in Schatten werfende Segmente zerteilte, rohe Granitblock erinnert
an steinzeitliche Kultobjekte, - gefertigt um das Licht
gleichsam einzufangen, um Sonne zu beschwören.
Van Look liebte mythologischen Bezüge und archaische
Rückbindungen. Vor allem aber war es sein Anspruch, eine tiefere
Dimension des Raums erfahrbar zu machen.
Als ich ihn, den von Kraft und Ideen Strotzenden, wenige Wochen
vor seinem Tod fragte, wie er sich das Ende vorstelle, gab er zur
Antwort: "Wie wir es uns alle wünschen - mitten aus dem
prallen Leben gerissen". So ist es - allzu bald und
völlig unerwartet - gekommen.
"Das Schlimmste", sagte Pymi Van Look einmal zu mir,
"ist ein Künstler ohne Visionen". Ein Mann mit
Visionen - das war er. Ein künstlerischer Idealist. Und ein
Mensch mit weitem Herzen - der uns fehlt.
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Hans-Günther Van Look:
Skulpturen und Malerei
Einladung
Wegbeschreibung
Ansprache bei der Vernissage
Lichthorizontwand III
Bilder der Ausstellung
Pressebericht:
Die geistige Erhöhung des Sichtbaren
Badische Zeitung, 14.04.2009
Kurzbiographie

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