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STIFTUNG FÜR KONKRETE KUNST ROLAND PHLEPS
FREIBURG-ZÄHRINGEN, POCHGASSE 73
 
 

 

Ansprache von Roland Phleps am 9. März 2008
zur Vernissage der Ausstellung

Margareta Hesse:  "Transluzide Bilder"

in der Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps in Freiburg

 

Liebe Frau Hesse,

zur ersten Ausstellung dieses Jahres mit Werken eines Gastes in der Halle unserer Stiftung begrüße ich Sie herzlich! Es ist uns eine Freude, eine Auswahl Ihrer transluziden Bilder in Freiburg zu zeigen und heute zu sehen, dass der lange Anlauf zu dieser Ausstellung ans Ziel gekommen ist. Wünschen wir Ihnen, liebe Frau Hesse, und wünschen wir der Stiftung zahlreiche Besucher und eine lebhafte Resonanz!

Am Anfang unserer Zusammenarbeit stand im vorigen Sommer die Zusendung eines interessanten, gut gemachten Ausstellungskatalogs und eines kurzen Briefs. Mir haben die farbigen Abbildungen in dem Band gleich gefallen, so dass wir die wechselseitigen Besuche vereinbarten, um die Ausstellungshalle und die Bilder selbst kennen zu lernen. Wir konnten uns ohne Mühe auf die Auswahl und die Termine einigen und sind dem Emschertalmuseum der Stadt Herne in Westfalen dafür dankbar, dass die Bilder nach der dortigen Ausstellung auf dessen Kosten nach Freiburg gebracht worden sind.

Es ist üblich, bei Vernissagen den ausstellenden Gast dem Publikum vorzustellen, auch wenn es den Gast langweilen sollte. Darum fasse ich diesen Teil meiner Ausführungen kurz und verweise auf die ausgedruckten Daten, die Sie, meine Damen und Herren, an der Hallenwand in Eingangsnähe finden und nachlesen können.

Margareta Hesse ist in Duderstadt/Niedersachsen 1956 zur Welt gekommen. Sie hat von 1975 bis 1982 Kunst und Romanistik studiert und war 1981 in Paris Stipendiatin an der École Nationale Superieure des Beaux-Arts. Sie hat eine Vielzahl von Einzelausstellungen ihrer Bilder und Ausstellungs-Beteiligungen gehabt und eine ganze Reihe von Stipendien und Preisen erhalten. Seit 1995 hat Margareta Hesse eine Professur an der Fachhochschule Dortmund für Grundlagen der künstlerischen Gestaltung und Illustration. 2004 wurde sie mit dem erstmals verliehenen Kunstpreis der Stadt Hamm ausgezeichnet. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Ich wende mich jetzt der künstlerischen Arbeit unserer Gastes zu. Frau Hesse hat anfangs im Stil des "magischen Realismus" gemalt, sie hat mit Ölfarben und Wachs auf Holzplatten gearbeitet, hat Objekte und Installationen gemacht und ist erst vor etwa zehn Jahren zu ihren jetzt bevorzugten Malmitteln und den dadurch bedingten Gestaltungsweisen gekommen: Sie benutzt nämlich durchscheinende, industriell gefertigte Polyesterplatten als Bildträger und das Naturprodukt Schellack sowie Farblacke als Farbträger, was zu der von Frau Hesse seit 1998 konsequent verfolgten Serie der Transluziden, den durchleuchteten Bildern führte.

Bei den in dieser Ausstellung gezeigten Werken handelt es sich durchweg um doppelflächige Bilder. Sie bestehen aus zwei im Abstand von einigen Zentimetern hintereinander gestellten durchscheinenden, aber nicht durchsichtigen Polyesterplatten mit feiner Binnenstruktur, die deckungsgleich zugeschnitten sind und deren Transparenz durch manuelles Anschleifen variiert werden kann. Die Farbe des aufgetragenen Schellacks reicht je nach Dicke der Malschicht von schwärzlichem Rot (denken Sie an Siegellack) über Brauntöne bis zum hellen Honiggelb und ist auch vom Winkel des einfallenden Lichtes abhängig und vom Blickwinkel des Betrachters.

Für die Bildwirkung wesentlich ist das Licht, das zum Teil von der Bildoberfläche glänzend reflektiert wird und dabei je nach Position des Betrachters changiert, teils aus dem Raum hinter und zwischen den beiden Bildflächen diffus hervorleuchtet.

Ebenso wichtig wie die Farbe ist die Gliederung, die Strukturierung der Bildfläche, wobei wir Einheitlichkeit und Varianz bemerken. Da ist das durchgehend gleiche Format der Bildserien, nämlich 100 x 150 cm oder 50 x 50 cm, und es wiederholt sich der rechte Winkel zwischen horizontalen und vertikalen Teilflächen, die sich als Streifen oder symmetrisch korrespondierende Rechtecke darbieten. (Die Künstlerin spricht von einem Liniengefüge.) Der strengen Beachtung des genannten geometrischen Aufbaus der Bildfläche steht aber die Freiheit und Variabilität im Farbauftrag gegenüber. Wir erkennen die Bewegung der malenden Hand, begreifen die Konsistenz des aufgetragnen Farbmaterials, das sich vor dem Erstarren noch zähflüssig bewegt und wir empfinden die Ungleichmäßigkeit, das Zufällige der Binnenstruktur der Farbe als lebendig. Dieser Eindruck des Lebendigen im polaren Gegensatz zum geometrischen Raster wird durch die Unbestimmtheit des aus der Tiefe kommenden farbigen Lichts verstärkt. Zum statischen Element kommt etwas Bewegtes, Schwebendes. So ist Ordnung nicht starr und das Chaotische doch gebändigt.

Die Bilder von Margareta Hesse sind ungegenständlich, sie stellen nichts dar und sind nicht Träger einer Bedeutung oder einer Botschaft. Sie entstehen aus dem komponierenden, experimentierenden Spiel mit Farbe und Licht, zweckfrei und befreit vom Imitationszwang "gegenständlicher" Malerei. Das spielerische Element schließt, wie wir sehen, bewusst gesetzte Ordnung nicht aus. Die Bilder zielen beim Betrachter nicht primär auf das Suchen und Erkennen eines ordnenden Prinzips, vielmehr auf seine Bereitschaft zur emotionalen Resonanz.

Am Schluss meiner Ausführungen möchte ich vom Speziellen zum Allgemeinen kommen: Wie ist unser Verhältnis zur Farbe? Wir sehen uns von Farbharmonie, von Farbkontrasten, von Farbsequenzen oder Farbkompositionen angesprochen oder abgestoßen, wir erleben schöne und hässliche Farbfolgen, wir sprechen von Farbsensibilität des Künstlers und Betrachters, wir sehen uns angesichts von Farben sofort in einem Dialog, einem freundlichen Zwiegespräch oder vielleicht in einem Streitgespräch.

Warum ist das so? Diese fundamentale Frage sollte uns beschäftigen, und weil angesichts von Kunst und besonders bei Vernissagen so viel geschwafelt wird, so viel Wortschaum produziert wird, von dem letztlich nur ein Fleck Seifenwasser übrig bleibt, bitte ich Sie, meine Damen und Herren, mir als einem naturwissenschaftlich geprägten Menschen zu gestatten, etwas Fundamentales zur Farbe zu sagen, etwas Überprüfbares.

Ich stelle meine Einsicht als Postulat in den Raum: "Farbe ist Erlebnis, und Farbe lässt sich ohne die emotionale Dimension gar nicht definieren." - Wir wissen genau, welche Frequenzen des spektral aufgefächerten Lichts als welche Farbe vom Menschen erkannt und erlebt werden, aber diese Lichtschwingungen bekommen erst die Qualität von Farbe, wenn sie auf einen Rezeptor, nämlich auf wahrnehmende Augen treffen und der ausgelöste Reiz in ein zentrales Nervensystem gelangt, das die Signale verarbeitet.

Ja, ist den Farbe nicht seit jeher vorhanden?, werden Sie fragen. Die Antwort lautet: Lichtschwingungen ja, Farbe nein! Die Pflanzen, die wir als Windblütler bezeichnen, etwa die Gräser oder die Haseln, haben farblose Blüten. Erst als Lebewesen mit Augen in die Welt kamen wie die Insekten vor etwa vierhundert Millionen Jahren, bekam Farbe einen Zweck - als Signal! Die Blütenfarbe lockt das Insekt mit dem Ruf: "Hier gibt es Blütenstaub zu fressen, und dafür dienst du mir als Bestäuber." Eine aufregende Sache! Der Signalcharakter der Farbe mit emotionaler Resonanz lässt sich durch die ganze biologische Entwicklung verfolgen, mit Anlocken und Abschrecken.

Liebe Frau Hesse, meine Damen und Herren, mein Gedankengang lässt den Bezug zu dieser Bilderausstellung vielleicht nicht gleich erkennen. Er ist aber gerade auf diese Exponate anwendbar, die von der Farbe leben! Überlassen Sie sich der Gemütsbewegung, der affektiven Resonanz, wenn Sie diesen Bilder-Raum als Ganzen sehen und Sie von einem Bild zum anderen gehen. Farbschwingungen des Lichts finden eine nicht-physikalische Entsprechung in den Schwingungen, die Sie in sich selbst spüren können, wohl vergleichbar mit jenen beim Hören von Musik. Ich wünsche Ihnen, dass es vor allem freudige Schwingungen seien!

Zuvor aber bitten wir Frau Paccagnella, die Saiten ihrer Harfe klingen zu lassen!