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STIFTUNG FÜR KONKRETE KUNST ROLAND PHLEPS
FREIBURG-ZÄHRINGEN, POCHGASSE 73
 
 

 

Ansprache von Dr. Antje Lechleiter zur Eröffnung der Ausstellung von

CW Loth

Holzskulptur

am 17. September 2017 in der Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps in Freiburg

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit CW Loth ist in der Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps ein Bildhauer zu Gast, der - im strengen Sinne - nicht zu den Konkret-Konstruktiven zählt. Die Präsentation seiner Arbeiten in der Skulpturenhalle der Stiftung macht dennoch Sinn. Denn auch wenn sich seine Holzskulpturen nicht aus geometrischen Grundformen zusammensetzen, so verfügen sie doch über Klarheit und Einfachheit, und sie entspringen einem zuvor genau festgelegten Plan. In Übereinstimmung mit den Zielen der Konkret-Konstruktiven wollen sie nichts erzählen, sondern sprechen durch ihre Präsenz und durch ihre Reaktion auf den Raum, in dem sie sich befinden. So war es auch unser Wunsch, uns hier unten in der Halle auf Arbeiten der drei Primärfarben Rot, Blau und Gelb sowie auf das unbunte Weiß und Schwarz zu beschränken.

Bei CW Loth hängt alles mit allem zusammen, alles fügt sich aus einem Stück. Wenn der Bildhauer seine Holzstämme mit der Kettensäge öffnet, dann zerteilt er sie nicht. Die einzelnen Partien bleiben durch ein System von Achsen miteinander verbunden, sie können bewegt, aber nie voneinander getrennt werden. Das Drehen und Spreizen der einzelnen Abschnitte führt zu einem Wechsel von offenen und geschlossenen Bereichen und macht das große räumliche Potenzial erfahrbar, das einem Holzstamm innewohnt. Aus sich selbst heraus vollführt der aufgeklappte Stamm eine raumumschreibende Bewegung. Ganz im Unterschied zum klassischen Holzbildhauer geht es CW Loth nicht um die Bearbeitung der Außenhaut, sondern um den Raum, der vom Holzkern umschlossen wird. Diesen fördert er mit einer zuvor exakt festgelegten Schnittfolge seiner Kettensäge zu Tage. So nimmt der Künstler in einem subtraktiven Vorgang zwar Holz vom Stamm weg, addiert aber wiederum durch die Öffnung des Stammes die zuvor im Innenraum eingeschlossenen, raumgebenden Möglichkeiten hinzu. Sehr gut wird dies bei der Arbeit Corpus Gelb aus Pappelholz sichtbar: Loth öffnet einen Abschnitt des Stammes und lässt den Betrachter mit seinen Augen buchstäblich zum "Kern der Dinge" vordringen.

In der Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps werden überwiegend neue Arbeiten des Jahres 2017 gezeigt. Das große blaue "Tor" ist die älteste Arbeit und datiert auf das Jahr 2011. Es wurde aus einer der ursprünglich fünf Meter lang Bänke geschnitten, die anlässlich des Papstbesuchs in Freiburg als Sitzgelegenheit für die Teilnehmer der Heiligen Messe aufgestellt waren. Loth hat im Zuge seiner Bearbeitung den Gedanken eines Hauses im Tor aufgegriffen. Der Moment des Verharrens in einer Übergangssituation mag darin angelegt sein.

Die neuen Werke des Künstlers verfügen über eine große Feingliedrigkeit, ihre Oberfläche ist glatter als noch 2013, und sie tragen eine gewaltige Bewegungsenergie in sich. Oben auf der Empore zeigt die Arbeit "Schichtung I" aus Nussbaumholz diese Dynamik besonders deutlich. Hier wurden Ringe über eine vertikale Achse geschichtet, die wiederum einen Quader durchläuft. Im wahrsten Sinne des Wortes hat Loth hier das Runde in das Eckige gebracht und macht damit Raum und Bewegung erfahrbar. Hier, aber auch in der kleinen, unbetitelten Arbeit aus Platanenholz (unsere Werknurmmer 6 oben auf der Empore) wird das für ihn zentrale Motiv der Achse direkt als skulpturales Element aufgefasst und von seiner bisher üblichen Funktion als Hilfsmittel emanzipiert. Diese Aushöhlung des Innenraumes ermöglicht überdies einen überraschend breit angelegten Durchblick oder - besser - Einblick in das Wesen der Skulptur.

Die Arbeit mit der schweren Kettensäge ist immer ein Wagnis, doch Loth geht virtuos mit seinem Gerät um und scheut kein Risiko. Wie bei der Arbeit "Blick I" von 2017 (letzte Arbeit auf der Empore) entstehen inzwischen auch extrem dünne Wände, die er in dieser fragilen Form früher nicht zu realisieren gewagt hätte. Wand, Gehäuse, Tor - das Thema "Gebäude" beziehungsweise "Batiment" tritt in der letzten Zeit verstärkt auf. Es passt gut zu Loths Liebe zur klaren Linie und hat überdies dazu geführt, dass die Oberflächen seiner Skulpturen glatter geworden sind. Der Innenraum bleibt hingegen nach wie vor rau und zeigt die Schnittspuren der ins Holz eindringenden Säge. Als Beispiel für diese Werkgruppe soll auf die Arbeit "Batiment X" von 2016 (Nr. 11) aus weiß gefärbtem Sequoiaholz verwiesen werden. Die Idee eines gedanklich durchschreitbaren Gebäudes ist hier besonders klar verwirklicht.

Blau, Rot, Gelb - ich habe es schon angesprochen, hier im unteren Bereich der Halle dominiert die Farbe. Sie wird vom Künstler aus reinen Pigmenten, vermischt mit einem Bindemittel hergestellt. Schon Anfang der 1990er Jahre fing Loth damit an, einige seiner Werke blau zu fassen. Die Entscheidung für die Färbung einer Skulptur fällt ganz am Schluss, nach dem Fertigstellen der bildhauerischen Arbeit. Erst wenn jene über ihre endgültige, individuelle Form verfügt, sucht er nach einer Farbe, die dieser Form entspricht. Hat der Künstler die Skulptur beispielsweise als Zeichnung im Raum angelegt, erfolgt die Fassung mit Dunkelblau. Der dunkle Farbton lässt die Zwischenräume des Holzes fast schwarz wirken und ruft eine besonders starke, grafische Wirkung hervor. Die Farbe Rot kommt bei weicheren Formen zum Einsatz, hierfür ist das Motiv unserer Einladungskarte, die Eichenholzskulptur "Rondo rot", von 2017 ein gutes Beispiel. Die Genese dieser Arbeit ist klar nachvollziehbar: Die äußere, zylindrische Form des Stammes bleibt partiell sichtbar, der Stamm wurde allerdings halbiert, entkernt und in drei Abschnitte aufgeteilt. Das vom oberen und unteren Bereich abgetrennte, mittlere Segment ist frei beweglich und hängt an einer vertikalen Achse, die durch zwei parallele Schnitte aus dem Stamm gelöst wurde. Der Mittelteil ist so aus dem Halbrund herausgedreht, dass er diagonal in den Raum führt. Damit bildet er nicht nur eine dynamische Gegenform, sondern macht auch den Umraum sowie die - zuvor verschlossenen - Zwischenräume wahrnehmbar. "Rondo" versetzt den Betrachter in Bewegung, es ist erstaunlich, wie unterschiedlich sich die einzelnen Ansichten dieser Skulptur präsentieren.

Auf der Empore der Skulpturenhalle zeigt Loth, dass seine Holzschnitte eng mit den Skulpturen zusammenhängen. Die bereits angesprochene, mitunter "grafische" Wirkung seiner Skulpturen führte den Künstler konsequenterweise dazu, das Motiv "Öffnung und Raum" auch auf der Fläche zu erproben. Der Schritt aus der dritten in die zweite Dimension scheint eine Beschränkung der Möglichkeiten zu beinhalten. Doch Loth visualisiert auf diese Weise Aspekte, die in einer Skulptur nicht umsetzbar gewesen wären. Während seine ausgreifenden Skulpturen "Raum" geradezu fühlbar machen, umschließt der Abdruck ihrer Flächen und Linien auf dem weißen Papier die Unendlichkeit des entfalteten Raumes. Wie die Durchbrüche im Holz besitzen die freien Flächen der Papierarbeiten die gleiche Wertigkeit wie das materiell Vorhandene. Raum wird mit Fläche und Fläche wird mit Raum assoziiert.

Bei den dunklen Reliefs hat sich Loth einer besonderen Technik zugewandt. Seit 2012 kommt nun auch das zum Einsatz, was bei der Arbeit an den Holzskulpturen übrig bleibt: Sägespäne. Das Holzmehl wurde in ein Gemisch aus Wasser und Eisenspäne gegeben und oxidierte durch die Verbindung der Gerbsäure mit dem Metall. Nach Zugabe eines Binders konnte die nun schwarze Sägespäne auf eine harte Platte aufgebracht beziehungsweise "aufgeschoben" werden. Loth betont das Bild hier als physisches, materielles Objekt, das malerisch und plastisch geformt wurde. Diese materialschweren Arbeiten werden sehr architektonisch aufgefasst und können als Raumfelder begriffen werden. Sie erinnern an Stadtansichten, gesehen aus der Vogelperspektive, die mit den Augen "erwandert" werden können. Der Betrachter spaziert durch Parks, kommt an Siedlungen und Häuserblocks vorbei. Auch hier spielen die "Leerstellen" eine ganz zentrale Rolle. Die Leerstelle wird von der Ästhetik auch als Unbestimmtheitsstelle im Bild bezeichnet, sie übermittelt Aspekte wie Spannung und Lebendigkeit. Diese Unbestimmtheitsstellen bilden aber auch Scharniere, die Blicke auf bestimmte Beziehungen öffnen, sie öffnen Räume der Interaktion zwischen Bild und Betrachter.

Sehr geehrte Damen und Herren, CW Loth geht es in seinen Skulpturen, Reliefs und Holzschnitten um ein großes Thema: Die Sichtbarmachung von Raum. Indem er seine Stämme aufklappt, wird Raum erfahrbar gemacht, und mit seinen Reliefs und Druckgrafiken beweist er, dass Raum auch auf oder sogar in der Fläche wohnen kann.