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Ansprache von Dr. Antje Lechleiter
zur Eröffnung der Ausstellung von
Gerhard Hotter
Malerei und Arbeiten im Raum
am 19. März 2017 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
Gerhard Hotter sagt: Ausgehend vom Thema
"SPIEL" erkunde ich in meiner Arbeit das
bildnerisch-poetische Potential in mathematischen
Strukturen. Dieser eine Satz sagt sehr viel über sein
künstlerisches Vorgehen aus, denn mit seinen Serien und solitären
Bildarbeiten verweist er darauf, dass mathematischen Systemen eine
große Schönheit fern der gegenständlichen Erinnerungen
innewohnt.
Hotter studierte von 1976 bis 1981 an der Akademie der Bildenden
Künste in Nürnberg, er lebt und arbeitet in Nürnberg und Paris.
In dieser Ausstellung zeigt er drei verschiedene Werkgruppen:
Hier rechts sowie an der Wand hinter mir hängen Arbeiten der Serie
"Pyramdis", hier vorne rechts ist eine große Arbeit aus
dem Zyklus "Crossing" zu sehen, links von mir hängen
Arbeiten der Reihe "Lineaturen". Analog zur Abfolge hier
unten in der Halle wurden die Arbeiten der einzelnen Werkgruppen
auf der Empore angeordnet. Bevor ich näher auf diese Werkgruppen
eingehen will, möchte ich einen kurzen Abriss über Hotters
künstlerische Entwicklung voranstellen, denn diese ist für das
Verständnis des heute Ausgestellten nicht unwesentlich:
Bis Anfang 1990er Jahre hat Gerhard Hotter im
illusionistisch-gegenständlichen Bereich gearbeitet. Ich habe bei
ihm zu Hause in Nürnberg eine stilllebenhafte Komposition gesehen,
die in ihrer perfekten Ausführung ganz und gar an die
augentäuschende, sog. Trompe-d'oeuil Malerei erinnert. Später
interessierten ihn sog. "Spiel-Situationen", und er malte
Bilder mit Schachfiguren, Würfeln, Spielkarten und Labyrinthen. Der
mathematische Aspekt in seiner Kunst beschränkte sich zu diesem
Zeitpunkt noch auf die zentralperspektivische Konstruktion und die
Anwendung des goldenen Schnittes als Grundlage der Komposition. Das
Thema "Spiel" reizte ihn, da hier ein in sich
geschlossenes System existiert, das mit eigenen, nur in ihm
geltenden logischen Regeln funktioniert. Und so entstanden zu
Beginn der 1990er Jahre Kompositionen, die er
"Module I" nannte. Sie bestehen aus geometrischen
Bauelementen, die mit Magneten auf Metalltafeln frei beweglich
angeordnet sind und vom Betrachter erweitert, ergänzt und verändert
werden können. Es handelte sich also um ein offenes Konzept, das
den Betrachter am kreativen Prozess teilhaben lässt. Innerhalb
seiner künstlerischen Entwicklung befinden wir uns nun an dem
Punkt, an dem Hotter zum geometrisch-konstruktiven Arbeiten
überging. Unter dem Titel "Module II" entstand
schließlich eine Werkgruppe, in der es um einfache
Teilungsmöglichkeiten von Quadraten bei der ausschließlichen
Verwendung der Primärfarben Rot, Gelb und Blau, plus Schwarz, Weiß
und Grau ging.
Im Rahmen seiner weiteren Untersuchungen zum Thema
"Spiel" stieß Hotter schließlich auf die Zahlenreihe
des - selbst in Mathematikerkreisen wenig bekannten -
schottischen Physikers Dudley Langford. Die Gesetzmäßigkeit der
Langfordreihe ist einfach zu beschreiben, wenn man die einfachste
Reihe nimmt. Sie hat die Elemente 1, 2 und 3. Es gilt nun
diese Zahlen so anzuordnen, das sich zwischen den beiden Einsen
eine Zahl befindet, zwischen den Zweien stehen zwei Zahlen und
zwischen den Dreien drei Zahlen. Also 3-1-2-1-3-2. Keine Panik,
wenn Sie das nicht sofort vor Ihrem geistigen Auge realisieren
können. Sie haben die Gelegenheit die Langfordreihen durch eigene
Anschauung zu entschlüsseln. Sehr anschaulich wird das System in
der hier im Raum auf Sockeln gezeigten 8-teiligen Arbeit, die eine
Langford 4er Reihe visualisiert. Die quadratischen Grundflächen
wurden in jeweils 4 Quadranten aufgeteilt. Der Untergrund ist
schwarz. Die blauen Viertel werden gezählt. Auf der ersten Platte
sind 2 Viertel blau und repräsentieren daher die Zahl 2,
es folgen 3 blaue Viertel (also die 3). Ist die gesamte
Platte blau, haben wir die Zahl 4. Man braucht eine Weile, um
die Folge dieser Zahlen als Langfordreihe der Kategorie 4 zu
entschlüsseln und erkennt dann auch, warum Prof. Eugen
Gomringer die Langford-Reihen als "Zahlenklammerungen"
bezeichnet. Die Zahlenpaare markieren innerhalb des in sich
abgeschlossenen Systems einzelne Abschnitte, die ebenfalls jeweils
über einen klar definierten Beginn und Schluss verfügen. Bei 3er
und 4er Reihen gibt es jeweils nur eine Lösung, mit den
Zahlen 5 und 6 lässt sich überraschenderweise gar keine
Langfordreihe bilden. Bei 7 Zahlen gibt es
26 verschiedene Lösungen, bei 8 Zahlen sind wir schon bei
150 verschiedenen Möglichkeiten der Zahlenfolge angekommen.
Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen, was Hotter so stark an
diesen Zahlenreihen interessierte? Die Antwort leitet sich aus
seiner, von mir daher vorangestellten, künstlerischen Entwicklung
ab: Es ist die absolute Zweckfreiheit dieser Sequenz und damit die
direkte Verbindung zu seinem zentralen Thema "Spiel".
Denn wie im Spiel bestimmte Regeln beachtet werden müssen, so
bestimmen auch hier Regeln die Entstehung seiner Bilder und
Objekte. Wir sehen an den drei Werkgruppen dieser Ausstellung sehr
schön, wie die Auseinandersetzung mit dem strengen mathematischen
System der Langford-Zahlen zu beeindruckenden visuellen Strukturen
führt, die das Bildfeld rhythmisch gliedern. Stets sind exakte
Aussagen über die Komposition möglich und der Bildaufbau ist immer
logisch nachvollziehbar. Dennoch hat der Betrachter die freie Wahl.
Er kann sich die Mühe machen, sich den Bildern analytisch zu nähern
und sie zu entschlüsseln, oder er kann sie rein von ihrer Gestalt
her erfahren.
Schwerpunkt unserer Ausstellung bilden jüngere Arbeiten der
PYRAMIDS- und LINEATUREN-Reihen. Um Ihnen die Möglichkeit zu geben,
zwischen der analytischen Entschlüsselung der Bilder und einer rein
intuitiven Betrachtung zu wählen, will ich kurz das ihnen zu Grunde
liegende System erläutern. Hier links, bei den
"Lineaturen" ergibt sich die Zahl aus der Breite der
Felder. D.h. die 1 ist immer das schmalste, die 8 das breiteste
Feld. Hotter arbeitet oftmals mit 8er-Sequenzen, denn aus den
möglichen 150 Lösungen hat er 26 ausgewählt und sie den
26 Buchstaben des Alphabeths zugeordnet. Aus diesen Buchstaben
bestehen die - Ihnen bisher wahrscheinlich ziemlich kryptisch
vorkommenden - Bildtitel. Das weiß-schwarze Bild
"COLYPHAN" gleich hier links von mir besteht also aus
einer 8er Reihe, aus der der Künstler 8 verschiedene
Variationen ausgewählt, horizontal in Streifen untereinander
angeordnet und mit dem jeweils zugeordneten Buchstaben benannt hat.
Der Titel COLYPHAN liest sich daraus von oben nach unten. Doch
blicken wir auch auf das, was aus dieser geometrischen Schönheit,
aus dieser Harmonie von wenigen Farben und einfachen Formen
entsteht. Hier in den "Lineaturen" findet beispielsweise
ein interessanter Raumwechsel statt, denn die mathematisch
organisierte Struktur der unterschiedlich breiten Flächen tritt
ganz und gar hinter die netzartig das Bildfeld überwuchernde
Struktur der Trennlinien zurück. Je länger man diese Werke
betrachtet, desto weiter greifen die Linien in den Raum. Ganz neu
und aus diesem Jahr 2017 sind Fünfecke wie LAROS oder PENTA sowie
Lineaturen, in denen er mit nicht-parallel verlaufenden Streifen
arbeitet.
Einer einzigen, waagrechten Zeile der Lineaturen entspricht bei
den PYRAMIDS das ganze Bild. Daher findet sich hinter dem Titel
oftmals in Klammern der Buchstabe, den Hotter der jeweils gezeigten
Lösung zugeordnet hat. Die Abbildung Ihrer Einladungskarte, aber
auch die Arbeit hinter mir gehört zu dieser Werkgruppe. Sie zeigt
eine Langford 8er Reihe. Die Zahlen von 1-8 ergeben sich jeweils
aus dem nach unten zeigenden, gelben Dreieck.
Bei den PYRAMIDS zeigt sich die Wirkung der verschiedenen Farben
besonders deutlich. Ganz unabhängig vom mathematischen System wird
der Betrachter hier zu verschiedenen Wahrnehmungsebenen geführt.
Denn einige Farben betonen eher die Pyramidenstrukturen, und wir
erleben illusionistische Erhebungen und Vertiefungen, während
andere Farbtöne bandartige Elemente zusammenführen, die schräg
durch das Bildfeld laufen und vor einem Farbraum zu schweben
scheinen. Abhängig von den gerade vom Gehirn favorisierten
Zusammenhängen schließen sich manche Bildbereiche auch zu völlig
neuen Formen zusammen.
Diese große Arbeit "Yellow Crossing" gehört zur Serie
"Crossing" bzw. "Stripes" und zeigt einen
emotionaleren Umgang mit Rhythmus und Farbe. Hier wurden zwei
Langfordreihen - eine in vertikaler und eine in diagonaler
Anordnung - übereinander gelegt. An den Kreuzungspunkten vermischen
sich die jeweiligen Farbtöne. Die Überlagerung der Systeme lässt
das Bild freier und dynamischer erscheinen. Auch die direkt darüber
auf der Empore gezeigte Arbeit "Farbklang 9-3"
gehört zu dieser Werkgruppe.
Sehr geehrte Damen und Herren, Gerhard Hotter zeigt uns die
Ungleichheit des Ähnlichen und führt das Sehen als ein fein
differenziertes Abenteuer vor. Seine Ausstellung erlaubt eine Fülle
von vergleichenden Beobachtungen für den Betrachter, der dazu
bereit ist, sich auf diese Kunst einzulassen. Ganz im Sinne der
Zielsetzung der Stiftung für Konkrete Kunst zeigt Hotter in seinen
Arbeiten, dass Farbe, Form und Fläche keineswegs abstrakte, sondern
ganz konkrete Werte sind, die eine Wirklichkeit für sich
darstellen.
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Gerhard Hotter: Malerei und Arbeiten im Raum
Öffnungszeiten
Wegbeschreibung
Ansprache bei der Vernissage
"PYRAMIDS LX"
Bilder der Ausstellung
Kurzbiografie Gerhard Hotter

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Homepage von Gerhard Hotter
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