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Ansprache von Dr. Antje Lechleiter
zur Eröffnung der Ausstellung von
Jean-Pierre Viot
Illusion Géométrique
Malerei und Skulptur
am 8. Mai 2016 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Jean-Pierre Viot, den ich mit seiner Frau Colette herzlich
begrüßen darf, haben wir heute einen Künstler aus Frankreich zu
Gast. Viot wurde in Sens geboren, er lebt und arbeitet in Paris und
in Veron, das liegt im Burgund. Bevor ich näher auf die Ausstellung
eingehen werde, möchte ich Jean-Pierre Viot noch ganz herzlich
gratulieren, denn er hatte gestern Geburtstag und hat diesen also
bei uns in Freiburg gefeiert. Bei Frau Heinzelmann bedanke ich mich
für die Bereitschaft, meine Einführung im Vorfeld ins Französische
zu übersetzen, so dass die Viots meine Rede nun auch mitverfolgen
und verstehen können. Bedanken möchte ich mich auch bei unseren
beiden Aufbauhelfern, Frau Streb und Herrn Künzle. Begrüßen darf
ich auch Henk Rusman aus den Niederlanden, der im September
gemeinsam mit seinem Landsmann Henk Crouwel in der Stiftung
ausstellen wird.
Herrn Phleps geht es wie mir: Wir erinnern uns sehr gerne an
unseren Besuch bei den Viots in Veron im vergangenen Jahr. Wir
wurden in ihrem Haus mit großer Gastfreundschaft empfangen und
waren im Atelier von den außergewöhnlichen Werken des Künstlers
beeindruckt. Vor Ort hatten wir die Gelegenheit, einen Überblick
über das Œuvre des Künstlers zu gewinnen, und im Hinblick auf
unsere Ausstellung haben wir Arbeiten - Malerei und
Skulpturen - ausgewählt, die zwischen 1997 und 2016 entstanden
sind. Auf der Bildliste erkennen Sie die Entstehungsdaten mit Hilfe
der Werknummern. Dabei steht die erste Zahl für den Monat, die
zweite für das Jahr und die dritte nummeriert schließlich die
Reihenfolge der Fertigstellung. Das heißt, dass die drei Arbeiten
der Serie "Evasion Quadratique", die links oben auf der
Galerie zu sehen sind, auf den Mai 1997 datieren und die
ältesten Werke unserer Ausstellung sind, während hier in der Halle
innerhalb der beiden Serien "Plans" und
"Spacial" ganz neue Werke des Jahres 2016 präsentiert
werden.
Mich fasziniert die große Reduktion, zu der Jean-Pierre Viot im
Laufe seiner künstlerischen Entwicklung gefunden hat. Der Künstler
beschränkt sich inzwischen auf die Kombination von wenigen Linien,
Kreisbögen, Winkeln und Quadraten. Ihrer Setzung ist allerdings ein
langes und intensives Nachdenken über das Wesen und die
Möglichkeiten der konkret-konstruktiven Kunst anzusehen. Die
unbunten Farben Weiß und Schwarz dominieren, hinzu kommen
monochrome Farbflächen und farbige Linien, welche die Bildfläche in
Schwingung versetzen. Seine Arbeiten sind ein guter Beweis dafür,
dass die aktuelle konkret konstruktive Kunst nicht spröde und
verkopft, sondern überaus zart und poetisch sein kann.
"Spacial", "Plans" und "Illusion
géométrique" - schon die Titel der verschiedenen
Werkgruppen geben einen Hinweis darauf, dass es Jean-Pierre Viot
letztendlich um die Frage geht, wie sich aus der Fläche heraus Raum
entwickeln kann. In inzwischen geradezu minimalistischer Reduktion
widmet sich der Künstler einem Thema, das die Malerei seit vielen
Jahrhunderten beschäftigt. Denn wie nur lässt sich die Illusion von
Dreidimensionalität auf der unausweichlich zweidimensionalen
Leinwand erzeugen? Die Renaissancemalerei hat mit ihrer Verbindung
von Kunst und Naturwissenschaft perfekte Lösungen für dieses
Problem gefunden. Doch da sich die Bildinhalte der
konkret-konstruktiven Kunst vollkommen unabhängig von
Naturvorbildern vermitteln, sind hier natürlich keine
fluchtpunktperspektivisch dargestellten Innen- oder Außenräume im
Stile des 15. Jahrhunderts zu erwarten. Dennoch kommt der
Kraft der Illusion in Viots Werken eine wichtige Bedeutung zu, und
er führt uns hier in der Ausstellung eindrucksvoll vor, dass die
Malerei in der Tat über die Fläche des Bildträgers triumphieren
kann. Blicken Sie nur diese quadratische Arbeit der Serie
"Spacial" an, sie entstand vor wenigen Wochen im
April 2016. Auf dem Bild kommen die drei Primärfarben Blau,
Gelb, Rot, sowie die Farbe Grün vor, überdies finden wir die
unbunten Farben Weiß und Schwarz. Mit den sich teilweise
überschneidenden Kreissegmenten und abgewinkelten Linien setzt sich
das Bild aus einer abzählbaren Menge von Elementen zusammen, die
gleichmäßig auf der Leinwand verteilt sind. Es gibt keinen
erkennbaren Pinselduktus, also keine Spuren der gestaltenden Hand
und wir finden keinerlei Anlehnung an Naturerscheinungen. So weit,
so gut. Doch betrachtet man dieses Werk, oder überhaupt die Werke
dieser Serie "Spacial" länger, dann gewinnen die zarten,
blauen, gelben, roten, grünen und schwarzen Linien mehr und mehr an
Volumen. Unsere Augen können quasi um sie herumwandern und wir
tauchen ein in dieses endlos weite Universum aus Formen.
Als wir am Mittwoch die Arbeiten auf dieser Seite gehängt haben,
da war es faszinierend zu erleben, wie sich die Linien nicht nur
von ihrem weißen Untergrund sondern sogar von der weißen Wand lösen
und sowohl in den Raum hinein als auch hinter die Wandfläche
greifen. Diesen, für ihn extrem wichtigen, räumlichen Aspekt seiner
Malerei verdeutlicht auch ein Zitat des Künstlers:
"Quadrate
und Quadratsegmente, Kreissegmente, Farbflächen und Winkel stellen
dort ein Gleichgewicht her, wo der Raum nicht nur auf die Fläche
der Leinwand beschränkt ist."
Und genau das sehen wir heute
auf diesen Bildern: Hier gibt es kein Zentrum, Formen und Grund
sind miteinander verzahnt, sie beziehen auch den Umraum mit ein und
sie reagieren auf ihn. So setzen sich Viots Kompositionen mit der
tänzerischen Leichtigkeit einer zarten, feinen Linie über die
Fesselung an die Fläche ihres Bildträgers hinweg und eröffnen dem
Betrachter einen geradezu "sphärischen" Tiefenraum.
An der Rückwand der Empore finden sich vier Werke der Serie
"Illusion Géométrique", die kurz nach der
Jahrtausendwende entstanden und in Acryl auf Leinwand ausgeführt
sind. Auch sie bestehen aus geometrischen Elementen, die durch ihre
genau austarierte Gruppierung eine kompositorische Einheit
bilden. Mit Ausnahme von kleinsten, roten Partikeln sind diese
Werke unbunt, und mit ihrem starken Hell-Dunkel-Kontrast
thematisieren sie das Wechselspiel von Figur und Grund. Hier zeigt
sich deutlich, dass es Viot genauso um die bildkonstituierenden
Formen wie um die zwischen ihnen liegenden Leerflächen geht. Form
ist Leere und Leere ist Form.
Mit seinen Klein- und Großskulpturen aus Stahl geht Jean-Pierre
Viot ein weiteres Mal - aber diesmal eben ganz real - in
die dritte Dimension. Diese Arbeiten ergänzen und erweitern das
malerische Werk und beweisen erneut, dass Geometrie und Poesie kein
Widerspruch sein muss. Sein sicheres Gefühl für die minimalistische
Anordnung von elementaren Formen wie dem Dreieck und dem
Kreissegment, das perfekte Austarieren von Schwingung und Balance
beherrscht auch sein bildhauerisches Werk. Hat man seine Gemälde
gesehen, so verwundert es nicht, dass "Equilibre", also
Gleichgewicht, ein Titel ist, der in seiner Skulptur immer wieder
vorkommt. Denn auch in seinen auf einfachste Grundformen
reduzierten Stahlskulpturen finden wir dieses Verharren in einer
für einen kurzen Moment zum Stillstand gekommenen Bewegung, diesen
labilen Zustand zwischen Schwingung und Balance. Oben auf der
Empore finden sich aber auch Kleinskulpturen, die mit ihren
Drehungen und ihrer räumlichen Anordnung wesentlich dynamischer in
den Raum greifen. Auch diese beiden offenen, sich wie Diagonalen im
Raum kreuzenden Kreisscheiben verfügen über eine sehr bewegte
Linien- und Flächenführung. Man könnte sie als ein Modell
ansprechen, das Raumbeziehungen thematisiert.
Sehr geehrte Damen und Herren, Jean-Pierre Viot vertritt
innerhalb der konkreten Kunst eine vollkommen eigenständige
Position. Seine Skulpturen und Gemälde sind Zeugnisse der
Ausgewogenheit ungleicher Elemente. Sie bilden einen Zusammenklang,
der uns meditative Seherlebnisse vermittelt und uns für die Stille
und das Einfache empfänglich macht. Eine Wohltat in einer Welt, die
mehr und mehr von Bildern überflutet wird.
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Jean-Pierre Viot: Illusion Géométrique
Einladung
Wegbeschreibung
Ansprache bei der Vernissage
"Plans"
Bilder der Ausstellung
Pressebericht:
Ausstellungsrundgang ...
Badische Zeitung, 27.05.2016
Kurzbiografie Jean-Pierre Viot

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Homepage von Jean-Pierre Viot
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