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Ansprache von Dr. Antje Lechleiter
zur Eröffnung der Ausstellung von
Henk Crouwel und Henk Rusman
Die Poesie des Konkreten
Malerei und Skulptur
am 18. September 2016 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit den Gemälden von Henk Crouwel und den Skulpturen von Henk
Rusman sind heute die Werke von zwei Künstlern aus den Niederlanden
in der Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps zu sehen. Ich
begrüße Herrn Rusman, der aus dem friesischen Oudebildtzijl
angereist ist. Henk, vielen Dank für die gute Zusammenarbeit! Da
Herr Rusman sehr gut Deutsch spricht, kann er meine Rede problemlos
verfolgen und steht Ihnen nachher gerne für weitere Auskünfte zur
Verfügung. Herr Crouwel, der in Utrecht lebt, konnte aus
gesundheitlichen Gründen leider nicht nach Freiburg reisen.
Beide Künstler kannten sich vor dieser Ausstellung nicht
persönlich, doch sie waren mit den Werken des jeweils anderen
bereits vertraut, und wie diese Ausstellung zeigt, gibt es auch
eine starke Übereinstimmung hinsichtlich ihrer künstlerischen
Ziele. Henk Crouwel und Henk Rusman verbindet das Bekenntnis zu
einer Kunst, die sich durch eine auffallende Ökonomie der
bildnerischen Mittel auszeichnet und elementare
Wahrnehmungsprozesse des Menschen anspricht. Ihre Werke sind von
großer Klarheit, sie sind von abmessbaren und damit
nachvollziehbaren Proportionen geprägt, geometrische
Elementarformen werden als Ordnungs- und Gestaltungselemente
eingesetzt.
Die konkret-konstruktive Kunst hat bis heute einen großen
Stellenwert in den Niederlanden. Dort entstanden vor 99 Jahren
und ab 1917 die strengen Flächenpläne von Künstlern, die als die
"De Stijl Bewegung" in die Kunstgeschichte
eingegangen sind. Die Reduktion auf die drei Grundfarben, auf das
unbunte Schwarz und Weiß und auf die Senkrechte und Waagrechte
bestimmte weite Teile ihrer Gestaltung, und insbesondere das Werk
von Piet Mondrian.
Doch natürlich hat sich die konkret-konstruktive Kunst stetig
weiterentwickelt und mit dem Titel der Ausstellung "Die Poesie
des Konkreten" möchten wir zeigen, dass wir für die Stiftung
immer auch Künstler auswählen, deren Werke nicht nur im Rationalen
verhaftet sind, sondern auch über ein gewisses Maß an Emotionalität
und Empfindung verfügen.
Blicken wir nun zunächst auf die Malerei von Henk Crouwel, der
1930 in Groningen (NL) geboren wurde. Nach einem Arbeitsleben
als Dozent und Steuerberater beschäftigt er sich seit 1993
autodidaktisch mit der konkret-konstruktiven Malerei und
Skulptur. Wichtige Bezugspunkte seiner Kunst sind die russischen
Konstruktivisten sowie die Mitglieder der - erwähnten -
niederländischen De Stijl Gruppe um Piet Mondrian und Theo van
Doesburg.
Für Crouwel geht von der Struktur, Ordnung und Regelmäßigkeit
mathematischer Prinzipien eine große Faszination aus, und er sieht
die konkret-konstruktive Kunst als ein lebensnotwendiges
Gegengewicht zum Chaos des täglichen Lebens. Zahlen und ihre
Beziehungen sind also die Basis für die Struktur und Organisation
dieser Arbeiten, und über deren Ausgewogenheit und Klarheit
entsteht dann das, was wir als bildnerische Schönheit
empfinden. Ich habe eben schon angesprochen, dass die
konkret-konstruktive Kunst elementare Wahrnehmungsprozesse
anspricht. In Crouwels Malerei lässt sich sehr gut nachverfolgen,
wie etwa eine stehende oder liegende Form einen ganz anderen
Ausdruck übermittelt wie eine gleichdimensionierte, aber diagonal
oder kippend ausgerichtete. Oder wie ein rotes Farbfeld eine ganz
andere Botschaft übermittelt als ein blaues. Lage, Ausrichtung,
Farbe und Ordnung der Elemente sind direkt für den Ausdruck und
damit für die Botschaft des Werkes zuständig. Über die Farbe sagt
der Künstler: Eine schöne, intensive Farbe
ist für mich der Hinweis auf dieses großartige und vielfältige
Leben, das genossen werden muss ... . Crouwel
arbeitet mit den Primär- und Sekundärfarben aus dem sechsteiligen
Farbrad sowie mit den zwölf oder vierundzwanzig Teilen des
Farbkreises. Doch wir alle wissen, dass Farben immer unberechenbar
bleiben. Durch ihre Wechselwirkungen zu Nachbartönen, durch ihren
unterschiedlichen Charakter zwingen sie immer wieder zu
gefühlsmäßigen Entscheidungen und können daher nie ganz rational
erfassbar sein.
Eine ganze Serie von neuen Werken hat Crouwel auf der Basis von
Fibonacci-Verhältnissen aufgebaut. In den beiden Werken an der
Stirnseite der Empore bringt er diese Zahlenfolge mit einem
visuellen System zusammen, das sich aus der Farbfolge des Spektrums
ergibt. Die Fibonacci-Folge ist die unendliche Folge von
natürlichen Zahlen, die mit der 0 bzw. zweimal der Zahl 1
beginnt. Im Anschluss ergibt jeweils die Summe zweier
aufeinanderfolgender Zahlen die unmittelbar danach folgende Zahl:
0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34 .... In Crouwels Bildern addieren
sich die Seitenlängen von jeweils zwei Vierecken zur Seitenlänge
des folgenden Vierecks und dieses fügt sich mit seinem Vorgänger
wiederum zur Größe des nächsten Abschnitts zusammen. Die
Fibonacci-Folge beschreibt auch zahlreiche Wachstumsvorgänge von
Pflanzen und gibt also eine Art Wachstumsmuster in der Natur
wieder. Überdies nähert sie sich, je weiter man in der Folge
fortschreitet, dem Zahlenverhältnis des Goldenen Schnittes.
Blicken wir noch kurz auf das Bild Ihrer Einladungskarte, es
hängt hier oben und trägt den Titel "Bis ins
Unendliche". Wir können die Menge von Elementen, aus denen es
zusammengesetzt ist, problemlos abzählen, da die Außenformen der
einzelnen Drei- und Vierecke klar begrenzt ist. Der Farbauftrag
erfolgte gleichmäßig und ohne erkennbaren Pinselduktus, und es
kommen exakt vier Farben, nämlich die drei Primärfarben plus Grün
zum Einsatz. Wie in allen Werken des Künstlers liegt auch dieser
Bildstruktur ein System zugrunde, das zum einen von einer inneren
Konsequenz und Logik gekennzeichnet ist und zum anderen auch die
menschliche Wahrnehmung thematisiert. In diesem Fall entsteht ein
starker Eindruck von Tiefenräumlichkeit.
So sehen wir heute mit den Gemälden von Henk Crouwel Arbeiten,
deren Organisation von Struktur, Ordnung und Systematik geprägt
sind, die aber auch durch ihre spielerischen Einfälle
Interpretationen zu dem geben, was wir als schön, harmonisch ja,
als poetisch empfinden.
Ich komme nun zu den Werken von Henk Rusman, der 1950 in
Hillegom (NL) geboren wurde. Er studierte in Maastricht und
lebt seit 1980 im friesischen Oudebildtzijl (NL). Eine Plastik
oder eine Skulptur ist immer das Ergebnis einer künstlerischen
Auseinandersetzung mit der dritten Dimension und übermittelt dabei
verschiedenartige Erfahrungen über den Raum. Die geometrisch
abstrakten Skulpturen von Henk Rusman arbeiten mit Wiederholung,
Schichtung und Rhythmisierung von mathematischen Grundformen wie
dem Viereck und dem Kreis, und sie leben von der Interaktion mit
dem Raum, in dem sie sich befinden. Neben den freien Arbeiten
entstehen Auftragsarbeiten für den öffentlichen Raum, in denen der
Künstler die spezifischen Gegebenheiten dieser Orte aufgreift und
künstlerisch verstärkt.
Grau ist für mich die Farbe des Raumes und die "Struktur aus
6 Quadraten" ist in dieser Ausstellung eine meiner
Lieblingsarbeiten. Sie befindet sich als Ausschnitt auch auf der
Einladungskarte und man sieht hier, dass der Ausdruck einer
Skulptur noch wesentlich stärker als dies bei einem Gemälde der
Fall sein kann, von dem Material lebt, aus dem sie besteht. Sieht
man die beiden auf der Karte abgebildeten Arbeiten hier im
Original, so sieht man überdies, dass das, was man bei einem
Gemälde im Hinblick auf Diagonalrichtungen bemerken kann, nur
eingeschränkt für Skulpturen oder Objekte gilt. Denn sieht bei
dieser Stahlskulptur eine Diagonale von der einen Seite her
steigend aus, so ist sie von der entgegengesetzten Ansicht her
fallend, von einem dritten Ort aus führt sie vom Betrachter weg und
vom vierten kommt sie auf ihn zu. Bei der "Struktur aus
6 Quadraten" sieht man überdies sehr gut, wie sich die
klaren Kanten des Edelstahls als Linien im Raum verhalten, wie
seine Flächen ihn teilen, wie Volumen Raum verdrängt oder Hohlräume
ihn einschließen.
Rusman arbeitet fast ausschließlich mit Edelstahl, das manchmal
patiniert und in letzter Zeit, etwa durch den Einsatz von Email,
auch farbig gefasst wird. Bei dem blau-grauen
"Doppelbild" aber auch bei dem Wandrelief "Struktur
in Gelb" können wir sehen, wie sich durch die Farbe der
Eindruck einer Arbeit entscheidend verändert. Denn "Struktur
in Gelb" und die daneben hängende Struktur in der Farbe des
Stahls bestehen aus den selben Modulen. Doch über die Farbigkeit
und natürlich auch über die variierende Anordnung der Module lösen
sie verblüffend unterschiedliche Seherlebnisse aus. Das gilt hier
im kleinen, wie im Großen bei den Wandarbeiten
"Dreiecksstruktur I" und "Quadratische
Struktur I", die wiederum aus den selben Modulen gefügt
wurden. Die Arbeit mit der Öffnung einfachster geometrischer Formen
wurde in diesen Kompositionen wichtig, und wir sehen, wie Rusman
dabei zu dynamisch agierenden und vehement in den Raum greifenden
Skulpturen gelangte.
Mit dem unbunten Weiß arbeitet Rusman schon länger, etwa bei
dieser "Struktur aus 5 Quadraten", bei
"Kristallisation" oder bei der ebenfalls weiß
beschichteten Arbeit "Dreiecke im Quadrat", die vor der
Halle steht. Letztere entstand 2008 und hat schon an
verschiedensten Orten im Außenraum gestanden. Die kleine Broschüre,
die Henk Rusman für diese Ausstellung hat anfertigen lassen, zeigt
die Plastik beispielsweise mitten im Wasser stehend, wo sich über
die Spiegelungen auf der Wasseroberfläche Verdoppelungen und
überraschende Perspektivwechsel ergeben. Ich freue mich sehr, dass
diese Arbeit auch bei uns im Außenraum und in der Nähe des Waldes
stehen kann, denn sie macht deutlich, dass die Struktur der Dinge,
die uns täglich umgeben, urbane Situationen aber auch die Natur
für Henk Rusman wichtige Quellen der Inspiration sind. Das zeigt
auch diese nach oben strebende Arbeit "Struktur aus
Quadraten", die es förmlich nach draußen zieht und die wir
beim Aufstellen der Werke immer als den "Tannenzapfen"
bezeichnet haben.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Gemälde von Henk Crouwel und
die Skulpturen von Henrk Rusman sind der konkreten Kunst
verpflichtet. Sie zeigen jedoch wieder einmal, dass sich das
künstlerische Tun ihrer Schöpfer nicht darauf beschränkt, gegebene
Gesetzmäßigkeiten und geometrische Beziehungen
dazustellen. Crouwels und Rusmans Arbeiten wenden sich über die
Vielfalt und über die Schönheit der Geometrie direkt an das
ästhetische Empfinden des Betrachters. Sie zeigen die Poesie des
Konkreten.
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Henk Crouwel, Henk Rusman: Die Poesie des Konkreten
Öffnungszeiten
Wegbeschreibung
Ansprache bei der Vernissage
Bis ins Unendliche
Struktur aus sechs Quadraten
Bilder der Ausstellung
Pressebericht:
Ein Hauch von Sydney-Oper
Badische Zeitung, 28.10.2016

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