zur Startseite / Home
STIFTUNG FÜR KONKRETE KUNST ROLAND PHLEPS
FREIBURG-ZÄHRINGEN, POCHGASSE 73
 
 

 

Ansprache von Dr. Antje Lechleiter zur Eröffnung der Ausstellung von

Gert Riel

Flächen   Spannungen
und
neue Arbeiten
aus der Werkgruppe Wolken

am 13. September 2015 in der Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps in Freiburg

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

als mich vor rund 5 Jahren innerhalb der Gruppenausstellung "Metall:Werke" im Museum Biedermann in Donaueschingen die Arbeiten von Gert Riel faszinierten, da konnte ich noch nicht ahnen, dass ich einmal selbst eine Ausstellung mit seinen Zeichnungen und Skulpturen würde kuratieren dürfen. Doch als Herr Phleps und ich im Jahr 2014 und auf der Suche nach interessanten Künstlern für die Stiftung über die Art Karlsruhe gingen, da stand schnell ein Name ganz oben auf unserer Wunschliste: Gert Riel. Wenig später besuchten wir ihn in seinem Haus und Atelier in Remshalden-Buoch und trafen dort nicht nur einen großen Künstler, sondern auch einen sympathischen Menschen.

Gert Riel ist in einer Einführungsrede schon einmal als "Postminimalist" bezeichnet worden, und das mag angesichts der Leichtigkeit, Offenheit und Frische seiner Werke etwas spröde klingen. Doch diese Zuordnung trifft in meinen Augen durchaus zu, denn in seinen Reliefs, Skulpturen und Zeichnungen hat sich der Künstler die Konzentration auf das Wesentliche zum Programm gemacht. Form, Raum, Lichtwirkung und Farbe bilden eine Einheit, und die von Riel am Material vollzogene Handlung ist direkt ablesbar.

Bevor ich näher auf die ausgestellten Arbeiten eingehe, mögen einige kurze biografischen Hinweise genügen: Gert Riel wurde in Prien am Chiemsee geboren, er studierte an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart, wo der Stahl bald und für viele Jahre zu seinem bevorzugten Arbeitsmaterial wurde. Von 1974 bis 2005 unterrichtete er an der Abteilung für Bildhauerei der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

"Veränderung" ist ein Titel, der im Werk des Künstlers und so auch in dieser Ausstellung immer wieder vorkommt. Das hat seine Berechtigung, denn die Skulpturen des Künstlers sind ausgesprochen vielgestaltig, und sie lassen sich nicht in Form oder Farbe festlegen. Überdies arbeiten sie mit dem Prinzip der Spannung und der Sichtbarmachung der hinter dieser Spannung stehenden, dem Material innewohnenden Energie. Damit erklärt sich auch Riels Faszination für den Werkstoff "Metall": Denn dieser ist fest und elastisch zugleich.

Riel hat früher überwiegend mit Cortenstahl gearbeitet, und Sie sehen hier eine Arbeit von 2007, die den treffenden Titel "Flächenspannung" trägt. Sie arbeitet zum einen mit einer ganz elementaren Form der Visualisierung von Materialspannung und zum anderen mit der von Riel stets auch angestrebten Wechselwirkung von Volumen und Fläche. Die dreidimensionale Form ist nämlich durch eine gebogene, also unter Spannung gesetzte, rechteckige (zweidimensionale) Stahlplatte entstanden, deren offene Seiten nach dem Biegen durch weitere, passgenaue Platten verschlossen, verschweißt und nahtlos verschliffen wurden. Die Spannungsenergie des Biegungsprozesses wird damit in der Skulptur wie in einem Gefäß verwahrt. Prall gefüllt mit Energie wirkt diese schwere Arbeit so leicht, als könnte sie mühelos bewegt werden. Die Oberflächenfarbe ergab sich hier aus dem natürlichen Korrosionsprozess, wobei sich der Rost bei Cortenstahl nur bis zu einem gewissen Grad in den Stahl frisst und der Oberfläche so eine natürliche Patina beschert. Mit dem kleinen Wandrelief "Veränderung" von 2005 finden Sie noch ein weitere Arbeit dieses Werkabschnittes in unserer Ausstellung.

Seit 2006 entstehen parallel zu den Arbeiten aus Cortenstahl auch Werke aus Aluminiumblechen. Indem die rechteckigen Platten hier auf die gegenüberliegenden Kanten gebogen und dort manchmal auch verschweißt wurden sind auch sie mit Biegungsenergie aufgeladen. Oben finden sich zwei Arbeiten, die zusätzlich mit Schnitten versehen sind und somit noch nachdrücklicher auf die Materialeigenschaften des unter Spannung stehenden Werkstoffs verweisen. Um das Jahr 2008 herum trat dann mit Macht die Farbe hinzu. Die monochrom mit einer dünnen Haut aus Farbe lackierten oder eloxierten Aluminiumwandobjekte werden nun zu Farbraumkörpern, die sich zwischen Materialität und Immaterialität bewegen. Der Schritt zur Farbe war konsequent, denn nun löst die Krümmung, Biegung oder Faltung der Aluminiumplatten jene nicht nur von der Wand ab, sondern generiert auch feinste Farbabstufungen. Es entsteht ein zwischen Materialität und Immaterialität changierendes Relief, wir sehen einen schwebenden Farbraumkörper, dessen farbiger Schatten untrennbarer Teil der Gestaltung ist. Es entsteht eine "skulpturale Malerei", ein dreidimensionales Bild, das sich selbst malt, das durch das Licht und die Faltungen Kompositionen mit Mittelachsen und Streifen erschafft.

Spiegelungen spielen in diesen Werken eine bedeutende Rolle, denn sie erweitern die Objekte um eine außerhalb des Bildes liegende Wirklichkeit. Die Architektur, also der Raum, in dem sich die Werke befinden, tritt ins Bild und auch wir selbst tragen wesentlich zur Gestaltung der Arbeiten bei. Sie haben es ja sicherlich schon gemerkt: Riels Werke halten uns durchaus in Bewegung, unsere Aktivität verändert nicht nur ihre Form, die von konkav zu konvex zu springen im Stande ist, sondern auch ihre Farbe. Sie sehen dies beispielsweise bei "Flächenbewegung" (Nr. 2), der jüngsten Arbeit dieser Ausstellung. Durch die Biegung des polierten Aluminiums wird das gelbe Band nach links gespiegelt, gehen wir weiter, trifft es dann auf die real vorhandene gelbe Fläche, schiebt sich quasi "hinter" sie, fliegt aus dem Bild und kommt von rechts wieder hinein. Oben ist ein weiteres Beispiel dieser aktuellen, eben erst begonnenen Werkgruppe zu sehen. "Da wird es weitergehen", bemerkte Riel in unserem Vorgespräch.

Auf verschiedensten Wegen sucht der Künstler nach Möglichkeiten, Farben in ihrer Wirkung zu verändern. Er stellt beispielsweise - wie bei dieser gelben Arbeit hinter mir - hochglänzende und matte Abschnitten nebeneinander. Die Illusion von Räumlichkeit trifft so auf die Hermetik einer Fläche. Oben finden Sie drei hellblaue Tafeln und so wie es sich hier zwei Mal um das selbe Gelb handelt, so handelt es sich dort drei Mal das selbe Hellblau. Man mag es kaum glauben. Völlig verwirrt mögen Sie dann oben vor einer weiteren Arbeit mit dem Titel "Veränderung" stehen (Nr. 11). Hier benutzte der Künstler einen irisierenden Perlglanzlack. Dieser arbeitet mit einem optischen Phänomen, welches es ermöglicht, dass eine Oberfläche je nach Standort des Betrachters in einer völlig anderen Farbe erscheint. Wegen seiner Uneindeutigkeit ist dieser Autolack bei uns verboten, was auch nicht verwundert: Bei einem Überfall oder einem Unfall mit Fahrerflucht könnten sich keine zwei Zeugen über die Farbe des beteiligten Fluchtfahrzeuges einigen.

In der Werkgruppe "Wolken" treibt Riel das Spiel mit Fläche, Farbe und Raum auf die Spitze. Scheinbar schwerelos treiben diese sanft geschwungenen Objekte über die Wand, verschränken, verbinden sich mit ihren Nachbarn und ergreifen mit Macht den Raum. Farbwerte und Farbabstufungen ergeben sich wieder durch die Biegungen und Lichtreflexionen, sowie durch die Bewegung des Betrachters. Für mich verfügen diese Arbeiten mit ihrer Dynamik, Fülle und Farbigkeit, sowie durch ihr Spiel mit dem Raum über eine geradezu barocke Opulenz. Gert Riel stimmt dieser Einschätzung zu, und er erzählte mir, dass ihn seine Mutter, die Kunsthistorikerin war, als Kind in zahlreiche Barockkirchen mitgeschleppt habe. Die scheinräumlichen Deckenmalereien dieser Kirchen, welche die Architektur zum Himmel und dessen Wolkengebilden öffnet, haben wohl bei seinen "Wolken" Spätwirkung gezeigt.

Auf der Empore zeigen wir mit 5 Kohlezeichnungen einen kleinen Ausschnitt aus Riels umfangreichem zeichnerischen Werk. Es handelt sich hierbei um autonome Gestaltungen, die in ihrer Reduktion und Klarheit das bildhauerische Œuvre ergänzen und erweitern. Allerdings fällt bei drei Zeichnungen auf, dass durchaus formale Verbindungen zu den "Wolkenreliefs" bestehen. Die Kohlezeichnungen entstanden jedoch viel früher, nämlich um 1990 herum und so liegen rund 25 Jahre zwischen diesen Arbeiten.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe es bereits erwähnt: Gert Riels spiegelnde Wandobjekte kann man nur vollständig erfassen, wenn man selbst den Standpunkt wechselt. Damit beziehen sie die Doppeldeutigkeit des Wortes "Reflexion" ein, das eben nicht nur das Zurückwerfen von Licht und Schall, sondern auch Überlegung, Betrachtung und vergleichendes Denken meint.