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Ansprache von Dr. Antje Lechleiter
zur Eröffnung der Ausstellung von
Daniel Chiquet
TRANSFORMATION
In Lichtraum verwandelte Fläche
am 16. März 2014 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine Plastik, eine Skulptur ist das Ergebnis der künstlerischen
Auseinandersetzung mit der dritten Dimension, dem
Raum. Unterschiedliche bildnerische Elemente übermitteln uns dabei
verschiedenartige Erfahrungen über den Raum. Eine Linie, die diesen
durchquert, macht entsprechend ihrer Richtung und Länge eine
Strecke, einen Weg im Raum sichtbar. Ein Körper verdrängt dagegen
Raum und besetzt einen Teil von ihm. Die Oberfläche dieses Körpers
hat immer auch eine Farbe, etwa die des Materials, also von Eisen,
Aluminium oder Holz. Die Materialität kann aber auch unter einer
fremden Farbe verschwinden, und diese Farbe kann dann das
entmaterialisieren, was unter ihr verborgen ist und damit auch die
Wahrnehmung der Form grundlegend modifizieren. Damit kommen wir zu
den heute in der Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
ausgestellten Stahlplastiken und Reliefs von Daniel
Chiquet. Bereits der Titel "Transformation. In Lichtraum
verwandelte Fläche" sagt sehr viel über das -
ungewöhnliche - Wesen seiner Plastiken aus. Ganz in
Übereinstimmung zu den eben geschilderten Wesenszügen einer
dreidimensionalen Arbeit besetzen Chiquets Stahlplastiken den Raum,
sie artikulieren und definieren ihn durch aufgeschnittene und
aufgefaltete Flächen. Sie zeigen, dass in jeder biegbaren Fläche
die Möglichkeit für ein Vordringen in die dritte Dimension angelegt
ist. Ganz eindrucksvoll zeigt dies die riesige himmelblaue
Edelstahlplastik "SPAZIOPONTE" in die man sich ja sogar
hineinbegeben kann. Doch dies ist bei weitem nicht alles, was für
die Werke von Chiquet wesentlich ist. Zu Fläche und Raum, also zur
Form tritt als absolut ebenbürtiger Partner die Farbe. Durch das
Spiel des Lichtes auf den farbigen, hochglanzlackierten Objekten
entsteht eine große Lebendigkeit. Das Licht macht die Farbe
nuancenreich, bei SPAZIOPONTE variiert sie vom hellsten zum
dunkelsten Blau, ja zum Schwarz. Gleichzeitig schreiben die
Schatten ein grafisches Liniengeflecht auf Boden und Wand. Bei
einem bestimmten Lichteinfall scheint sich der Stahl sogar ganz
aufzulösen, Oberflächenspiegelungen bewirken, dass wir wie durch
farbige Transparentfolien zu blicken meinen.
Das Ausloten der Wechselwirkung zwischen Fläche und Raum, offenen
und geschlossenen Partien, das Spiel mit Licht und Schatten
verbindet sich bei Daniel Chiquet also mit einer - für die
konkret-konstruktive Kunst - absolut ungewöhnlichen
Farbigkeit. Zitronen- und Dottergelb, Tomatenrot, Himmelblau und
Pistaziengrün sind diese Skulpturen und Reliefs, denen der Künstler
überdies wundersame Titel wie "ILIOS" (gelb) oder
"PINAKA RUGOSA" (rot) verleiht.
Die Arbeiten von Daniel Chiquet - und damit gehören sie auch
hier in die Stiftung für Konkrete Kunst - führen uns vor
Augen, dass es eine Sprache der Formen und Farben, der Volumen und
Hohlräume gibt, die unabhängig ist von einer
Gegenstandsmitteilung. Dass diese Sprache aber nicht kalt und
emotionslos sein muss, zeigt die heutige Begegnung mit seinen
Arbeiten. Blicken wir auf diese drei Plastiken hier in der Halle,
so übermittelt dieses Blau etwas ganz anderes als dieses Rot oder
Gelb, die eckigen Formen senden andere Signale aus als die
runden. Und noch eines wird uns hier klar: Eine Plastik erschließet
sich erst im Darum-herum-gehen. Aus der einen Perspektive
betrachtet wirkt die rote "PINAKA RUGOSA" wie eine hohe,
schlanke Stele. Doch kaum biegt man um die Ecke, so wird ein
mächtiges Quadrat aus ihr. Chiquet zeigt, dass sich erst aus der
Summe der sich verändernden Verhältnisse, Proportionen, Volumen und
Richtungen ein Ganzes ergibt.
In - mindestens - einem Punkt sind sich Daniel Chiquet
und Roland Phleps übrigens absolut einig: Beide treibt die Freude
am Spiel mit geometrischen Formen, mit der Überraschung des
Betrachters, mit der Biegung, Faltung und Verwandlung von Modulen
an. Oben auf der Empore zeigt Daniel Chiquet mit zwei Bodenarbeiten
die ganze Spannbreite seines Formenspiels. Der "Kubus"
verfügt über eine weiße und eine schwarze Seite, seine Herkunft aus
einer Stahlplatte lässt sich leicht erfassen. Ganz anders der
"Rote Pfeil", der durch eine Vielzahl von komplexen
Faltungen verwirrt und in keine Grundform zurückgedacht werden
kann. Oben an der Wand zeigt auch "ADIAKRITOS" - das
Motiv Ihrer Einladungskarte - wie verwirrend es wird, wenn die
Faltungen nicht mehr rechtwinkelig sondern diagonal verlaufen. Die
insgesamt fünf weißen Skulpturen weisen identische Faltungen auf,
wurden aber in verschiedene Positionen gedreht. Hätten Sie erkannt,
dass sie einer quadratischen Edelstahlplatte von 45 auf 45 cm
entsprungen sind? Bei diesen weiß lackierten Wandarbeiten macht das
materiell Vorhandene übrigens nur die eine Hälfte der Komposition
aus, die andere ist variabel und wird durch das Schattenspiel an
der Wand geformt.
Diese Skulpturen lassen sich nicht auf dem Papier vorbereiten,
können nicht auf dem Reißbrett konstruiert werden. Daniel Chiquet
findet sie während der Arbeit an kleinen Modellen die zunächst aus
Karton und später, dann schon maßstabsgetreu, aus Neusilber
bestehen. Die Farbfindung erfolgt erst nach Abschluss der Formung
und bildet den schwierigsten Part. Sieht man von den Forderungen
ab, die ein urbanes Umfeld an die Farbe einer Außenskulptur stellt,
so erfolgt die Farbfindung intuitiv. Erst ganz zum Schluss kommt
der Titel. Rätseln Sie nicht weiter, es handelt sich oft um
Kunstwörter die zwar in der Tat eine griechische oder lateinische
Wurzel haben, doch mit anderen Begriffen, etwa aus der
italienischen Sprache kombiniert werden. In Verbindung mit der Form
und der Farbe sollen diese Namen Assoziationen wecken. "LUCE
CLARIOR" heißt etwa diese hell und klar im Sonnenlicht
leuchtende Skulptur mit der gelben Fläche, die Sie gemeinsam mit
der Himmelssäule "COLUMNA CAELUM" draußen am Eingang
begrüßt hat. Die blaue "SPAZIOPONTE" dehnt sich weit aus
und überbrückt die Seiten dieses
Ausstellungsraumes. "ANTROPOSPAERA" lautet der Titel der
beiden Stelen auf der Empore, die sich in Höhe und Gestalt auf die
Ausdehnung eines menschlichen Körpers beziehen.
Nun habe ich schon viel über seine Werke erzählt, Ihnen den
Künstler aber noch gar nicht näher durch biografische Eckdaten
vorgestellt! Daher an dieser Stelle einige kurze Hinweise. Daniel
Chiquet wurde in Basel geboren, er lebt und arbeitet in
Allschwil. Chiquet hat eine Goldschmiedelehre absolviert und
daneben plastisches Gestalten an der Kunstgewerbeschule in Basel
studiert. Nach Ramón Cerezo ist mit ihm hier ein weiterer Künstler
zu Gast, der sich neben seiner freien künstlerischen Arbeit auch
mit Schmuckgestaltung beschäftigt. Diese Verschränkung von freier
und angewandter Kunst ist bei den Konkret-Konstruktiven nicht
unüblich. Seit den Anfängen dieser Kunstrichtung vor rund 100
Jahren, dann beim Bauhaus in Weimar und Dessau und später, nach dem
Zweiten Weltkrieg, an der Ulmer Hochschule für Gestaltung ist eine
Verschwisterung mit dem Design-Bereich, etwa mit der
Schriftgestaltung, der Innenarchitektur, Mode oder der
Produktgestaltung zu beobachten. Bei Chiquet bildete die
Schmuckgestaltung, genauer gesagt die Formung von Spannungsbroschen
(ebenfalls in der Ausstellung zu sehen) den Auslöser dazu, in die
freie Kunst und damit ins große Format zu gehen. Inzwischen
verläuft der Weg aber auch umgekehrt, also von der Faltung einer
freien Arbeit hin zum Schmuck.
Blicken Sie nachher oben in der Ausstellung zu den Fingerringen
in die Schmuckvitrinen und vergleichen Sie jene mit den fünf weißen
Ringen an der Wand. Hier zeigt sich, wie anregend diese
Wechselwirkung von freier und angewandter Kunst ist und wie ähnlich
und doch ganz anders die jeweiligen Resultate sind. Beide Ringe,
die großen wie die kleinen, bestehen aus Modulen, die in
verschiedene Positionen verdreht bzw. verschobenen wurden. Die
Wandarbeiten wirken zwar sehr kinetisch, ein wenig wie Teile eines
Uhrwerkes, doch im Gegensatz zu den Fingerringen können hier keine
weiteren Veränderungen vorgenommen werden, sie sind nicht drehbar
oder trennbar. Dafür ist ihr Untergrund untrennbarer Bestandteil
der Gestaltung. Wie schon bei ADIAKRITOS geht es nämlich in
gleicher Weise um das physikalisch vorhandene Material, wie um die
Leerstellen, die Öffnungen, die verschiedenste Durchblicke
gewähren.
Nach diesem Prinzip funktionieren auch die vier "Numerischen
Tafeln" auf der Empore. In drei Ebenen liegen hier Tafeln mit
ausgeschnittenen Ziffern übereinander. So bilden sich
verschiedenste Durchblicke, die aber schon auf der zweiten und
dritten Ebene keine Zahl mehr lesbar machen. Doch warum auch? Die
auf den Kopf gestellte Drei zeigt es: Es geht nicht um die Zahl als
solche oder gar um eine Zahlensymbolik. Chiquet treibt das Spiel
mit den räumlichen Ebenen an, er spielt mit dem Wechsel von
positiven und negativen Abschnitten, dem Sichtbaren und dem
Unsichtbaren.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit Daniel Chiquet ist hier in der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps ein weiterer Künstler zu
Gast, der die Erweiterungsmöglichkeiten des konkret-konstruktiven
Konzepts vorführt. In ihrer Komplexität lassen sich die
Stahlplastiken und Reliefs von Daniel Chiquet nur bedingt auf einer
rein rationalen Ebene erfassen. Viel wichtiger als diese ist auch
ihr hohes Maß an Lebendigkeit und ihre geradezu sinnliche
Schönheit.
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Daniel Chiquet:
TRANSFORMATION
Öffnungszeiten
Wegbeschreibung
Ansprache bei der Vernissage
Adiakritos
Bilder der Ausstellung
Pressebericht:
Mit gelbem Sonnenfänger
Badische Zeitung, 29.03.2014
Kurzbiografie Daniel Chiquet

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Pressematerial

Homepage von Daniel Chiquet
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