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STIFTUNG FÜR KONKRETE KUNST ROLAND PHLEPS
FREIBURG-ZÄHRINGEN, POCHGASSE 73
 
 

 

Ansprache von Roland Phleps zur Eröffnung der Ausstellung von

Jens J. Meyer
"Schweben"

am 26. Mai 2013 in der Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps in Freiburg

 

Lieber Jens, liebe Frau Hackstein, liebe Freunde unserer Stiftung, meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie nochmals herzlich zur Eröffnung dieser Ausstellung und freue mich über Ihr Interesse an der künstlerischen Arbeit unseres Gastes, den ich Ihnen vorstellen will. Sie haben sich in die Installation, die er geplant und hier in wenigen Tagen realisiert hat, integriert und damit schon Wesentliches seiner Kunst erfahren. Einige Angaben zu seiner Vita sind aber angebracht wie auch der Versuch einer Interpretation als Ergebnis meiner Begegnung mit dem Œuvre von Jens Meyer, das ich leider größtenteils nur von Abbildungen her kenne.

Ich bin zum ersten Mal auf ein Werk von Jens Meyer im Rahmen der Ausstellung "Kinetik" in der Stiftung Messmer in Riegel gestoßen. Es handelte sich um ein schwebendes, an der Decke fast unsichtbar aufgehängtes Gebilde, leicht in sich geschlossen, aus aufgespannten, dreieckigen, durchscheinenden Segeln. Ich war fasziniert und freute mich, den Künstler in der Ausstellung zu treffen. Unser Kontakt führte im vergangenen Jahr zur Planung dieser Ausstellung, die sich, zu unserem Bedauern, auf den Innenraum der Halle hat beschränken und entgegen der ursprünglichen Idee des Künstlers auf eine Installation auch im Freien vor der Halle hat verzichten müssen.

Wenden wir uns nun der künstlerischen Entwicklung von Jens Meyer zu.

Er ist in Hamburg 1958 zur Welt gekommen, jetzt also fünfundfünfzig Jahre jung.
Das Studium an der TH Darmstadt von 1980 bis 1988 hat er mit dem Diplom als Wirtschaftsingenieur abgeschlossen und in den Jahren 1986 bis 1988 gleichzeitig an den Akademischen Werkstätten Maximiliansau Malerei und Bildhauerei studiert.
Seit 1989 lebt und arbeitet er als freischaffender Künstler in Essen und Hamburg.

Von 1991 bis 1992 war er Artist in Residence der Stadt Essen; er erhielt mehrere Preise und Stipendien, darunter 1984 den Förderpreis für bildende Kunst der Stadt Gelsenkirchen.
Von 1989 an hatte er eine große Anzahl von Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in deutschen Städten, in Dänemark, Indonesien, Argentinien, Russland, Norwegen, Österreich und Kuba.

Nach dieser Aufzählung der wichtigsten Wegmarken des Künstlers gilt es, sich seinen Werken und deren Charakteristik zuzuwenden. Kennzeichnend für die Mehrzahl seiner Gebilde ist deren ungewöhnliche Materialität und ihr essentieller Bezug zu Umfeld und Raum:

Das Material, in dem Jens Meyer seine kreativen Ideen realisiert, sind zugeschnittene textile Flächen, elastische Gewebe, die mittels Zügen, deren Stärke von Fäden bis zu Tauen reicht, zu Punkten hin verspannt sind, die die stabilisierende Gegenkraft ausüben, seien es elastische Kohlenstofffaser-Stäbe oder Anker in Gebäuden oder Bodenflächen.
Seine Gebilde reichen vom Zimmerformat bis zu raumgreifenden, eine Halle füllenden oder in die Landschaft weithin bestimmenden Malen oder Straßenräume überspannenden Strukturen. Ich verweise auf die Fotos an den Wänden der Empore.

Die räumlichen Gebilde von Jens Meyer und seine Installationen gehen von geometrischen Grundformen aus, die gleichsam das konstruktive Gerüst im Raum darstellen. Dieser strenge Rahmen bietet die technische Voraussetzung dafür, die textilen Flächen dazwischen in Spannung zu setzen, wobei die kreative Phantasie sich frei entfalten kann, nicht chaotisch, sondern harmonisch, im Gleichgewicht und frei von Zwang.

So wie ein in Stein arbeitender Bildhauer die Rohform und Struktur des vorhandenen Marmorblocks erkunden und kennen muss, ehe er seine gestalterische Idee, seinen Entwurf realisieren kann, so gilt der erste kreative Schritt von Jens Meyer der Aufgabe, den Ort seiner Installation sowohl hinsichtlich technischer Bedingungen als auch der Eigenart, der Besonderheit, seines Wesens, also des genius loci, zu erforschen und zu erspüren. Der Raum ist nicht ein gleichsam austauschbares Accessoire, sondern integrativer Teil des Ganzen.

Wenn wir von Raum sprechen, sollten wir uns darüber klar werden, dass Raum nicht allein eine objektiv messbare Größe ist, dass vielmehr Subjektives gerade in Bezug auf dreidimensionale Kunstwerke, also Skulptur und Architektur, einen wesentlichen Aspekt darstellt. Wir erleben Raum aufgrund unseres Bedürfnisses nach Begrenzung. Wo keine Grenze sichtbar oder erfahrbar ist, erleben wir Leere, und wo die Grenze fehlt, schaffen wir sie uns.
Nicht aus Berechnung, sondern aufgrund der neurophysiologischen Struktur unseres Gehirns, was wiederum experimentell nachweisbar ist. - Der strukturierte Raum gibt uns Halt und Sicherheit, darüber hinaus Freude am ästhetischen Genuss. Das Firmament (lat. "firmus"), das Gesicherte, das Feste, sein Gegenteil ist das In-ferno.

"Ich betrachte den Raum als eine zu formende Materie" formuliert Jens Meyer, und das entspricht meiner Feststellung, dass er mit seinen Gebilden Raum schafft, Raum mit seiner emotionalen Dimension, die bis zum Glücksempfinden reicht.

Sie haben, meine Damen und Herren, richtig gehört: ich habe das oft verschlissene Wort "Glück" gebraucht. Und damit habe ich den engen Bezug zum Thema dieser Ausstellung gesetzt, "Schweben". - Wir Menschen brauchen die Schwere, die Haftung auf dem Boden der Realität, die Erdenschwere, die wir oft als uns drückende, belastende Schwere erleben.
Wir haben aber, von frühesten Zeugnissen des Menschen an, die Sehnsucht, zu schweben, zu fliegen, die, bis zum Anbruch des technischen Zeitalters, nur im Traum und in der Vorstellung übermenschlichen Daseins von Göttern und Märchenwesen Erfüllung fand, wohl auch im ekstatischen Tanz, im Außer-sich-Geraten bis zum unabwendbaren Absturz in die Realität.

Angesichts der Gebilde von Jens Meyer erleben wir eine Annäherung an das Schweben, an diesen Zustand des Glücks - und wie sollte da unsere Unisono-Zustimmung ausbleiben?

In einem meiner Skulpturenbände habe ich ein Essay verfasst mit dem Titel "Kann eine Skulptur schweben?"
Sehen wir das von Jens Meyer gewählte Material, total ungewohnt in Bezug auf Jahrhunderte Bildender Kunst, und angesichts der oft nur kurzen Lebensdauer seiner Installationen, ähnlich wie bei Christo, erscheint meine am Ende des Aufsatzes geäußerte Idee nicht so utopisch, ein wirklich schwebendes Kunstwerk als Choreografie für ein Ballett zu schaffen, ein Ballett aus Luft und Seifenwasser, ein Ballett von verschiedenfarbigen, hochschwebenden Seifenblasen, einzeln, paarweise, in Schwärmen ...

Ich schließe meine Ausführungen, die Laudatio auf Jens Meyer, mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe: "Den lieb ich, der Unmögliches begehrt."